Bleibt Scharping im Graben stecken?

In der SPD regt sich Widerstand gegen einen „Freibrief für Kampfeinsätze per Grundgesetz“ / Stellvertreterin Wieczorek-Zeul: „Ich habe eine andere Auffassung“  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

In der SPD regt sich Widerstand gegen den neuen Kurs, den Parteichef Rudolf Scharping im Streit um Blauhelme und Kampfeinsätze der Bundeswehr steuern will. Sie habe eine „andere Auffassung“ als der Parteichef, sagte am Montag abend die Vizeparteivorsitzende und Außenpolitikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul vor Journalisten in Bonn.

Sie wandte sich damit gegen den Vorschlag, den Scharping am Donnerstag gemacht hatte. Er hatte dafür plädiert, die von der SPD bisher geforderte deutsche Selbstbeschränkung auf Blauhelm-Einsätze nicht in das Grundgesetz aufzunehmen und statt dessen alle UNO-Einsätze der Bundeswehr an eine Zweidrittelmehrheit zu binden.

Wieczorek-Zeul widersprach Scharpings Einschätzung, man könne keine zweifelsfreie Trennlinie zwischen den klassischen, friedenserhaltenden Blauhelm-Einsätzen einerseits und Kampfeinsätzen andererseits ziehen. Zwischen Blauhelm-Missionen und militärischen Kriegseinsätzen sei „eine klare Grenzziehung möglich“, heißt es auch in einem von Wieczorek-Zeul redigierten Entwurf für einen außenpolitischen Leitantrag zum nächsten SPD-Parteitag im November. „Die SPD steht dafür“, heißt es in dem Papier weiter, „daß die Bundeswehr nicht zu einer frei verfügbaren Interventionsarmee wird und daß es keine Beteiligung der Bundeswehr an Kriegen, zum Beispiel nach dem Muster des Golfkrieges, gibt.“

Auf die Frage der Verfassungsänderung wird in dem Antragsentwurf allerdings nicht eingegangen. Wieczorek-Zeul schloß nicht aus, daß der Antrag in dieser Frage noch ergänzt werden könne. Klar und sehr restriktiv definiert das Papier dagegen den umstrittenen Begriff der mission defence, den SPD- Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen vor gut einer Woche ins Spiel gebracht hatte. Die „defensive, deeskalierende Absicherung ihres friedenserhaltenden oder humanitären Auftrages“ gehöre bereits seit 1973 „zu den Elementen von peacekeeping“, schreibt Wieczorek-Zeul. Gegenüber der taz zeigte sie sich verärgert über die „nun wirklich überflüssige Debatte“, die um diesen Begriff entstanden sei.

Mission defence bedeute keinesfalls „das Recht, sich den Weg freizuschießen“, bekräftigte gestern auch ein SPD-Außenexperte. Am vorletzten Montag hatte das SPD-Präsidium in einer Telefonkonferenz einhellig Verheugens Äußerungen gebilligt, die mission defence gehöre zu den Dingen, die deutschen Blauhelmen aus Sicht der SPD erlaubt sein sollten.

Dies hatte nachträglich vor allem die SPD-Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Saarland, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, irritiert. Sie wenden sich in der Blauhelm-Debatte nach wie vor gegen einen Kurswechsel.

In der SPD gilt es deshalb auch als offen, ob Scharping sich durchsetzt. Bislang sind breite Proteste ausgeblieben, da der SPD-Chef seine Vorstellungen öffentlich nur vorsichtig angedeutet hatte. Ein „Freibrief“ für Kampfeinsätze per Grundgesetz „kommt in der Partei nicht durch“, prophezeite gestern ein Sozialdemokrat.

Der SPD-Außenpolitiker Karsten Voigt, der Scharpings neue Linie mit inspiriert hat, äußerte ebenfalls bereits Zweifel an den Erfolgsaussichten des Parteichefs. Viele in der SPD seien eher bereit, vor dem Bundesverfassungsgericht eine Niederlage einzustecken, als einen Kompromiß mit der Regierungskoalition einzugehen, meinte Voigt. Er warnte vor dem „hohen Risiko“, daß das Verfassungsgericht die Rechtsauffassung von CDU und CSU bestätigen könnte, wonach UNO-Einsätze der Bundeswehr bereits vom geltenden Grundgesetz abgedeckt sind.

Demgegenüber ist Wieczorek- Zeul nach wie vor „überzeugt“, daß das Verfassungsgericht die Rechtsauffassung der SPD bestätigt und UNO-Einsätze für unzulässig erklärt. Sie sei deshalb auch dagegen, vor einem Spruch aus Karlsruhe Verhandlungen mit der Koalition aufzunehmen. In der SPD gibt es gleichzeitig eine unausgesprochene Einigkeit, daß die Chancen eines Kompromisses zwischen Regierungskoalition und SPD sehr gering sind, solange Karlsruhe nicht gesprochen hat. „Sehr skeptisch“ beurteilt etwa auch Voigt die Chancen, daß die Union im Streit um eine Grundgesetzänderung Zugeständnisse machen könnte. Scharpings jüngster Vorstoß wird in der SPD deshalb vor allem als Versuch gesehen, den Schwarzen Peter an Union und FDP zurückzugeben.

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