■ Serie Denk-Mal: Das Gedächtnis des Ortes, Teil 11
: Am Pranger von Schwäbisch Hall

Urteil: „Die Frau, die hier gefangen und gebunden seht, mit Namen Katharina Schloßstein, das eheliche Weib Hans Stetters, hat den Namen Gottes mit greulichen, erschrecklichen Flüchen, schwerer Lästerei und durch Verachtung seines heiligen Wortes, Sakraments und Predigtamts mißbraucht... Darum haben die Richter und Räte dieser Stadt beschlossen, daß sie wegen solch schlechten Handelns folgende Strafe sehr wohl verdient, nämlich daß man sie jetzt bald an den Pranger stellt, damit sich andere leichtfertige, rohe und gottlose Leute in ihr wiedererkennen und, damit sie anderen zu einem abscheulichen Exempel dient, zu ewigem Gefängnis verurteilt werden soll.“

Hall in Schwaben, 11. Juni Anno 1574. Der Stadtbüttel schleppt die Badersfrau Katharina Schloßstein aus der Zollhüttengasse, angeklagt und verurteilt wegen „Hexerei, Zauberei und weil sie ihre Nächsten zu solchem bewogen“, auf den Marktplatz. Seit März war sie eingekerkert, wurde verhört und – weil sie nicht bekennen wollte, ein „teuflisch unchristliches, ruch- und gottloses Leben“ geführt zu haben – im Beisein des Henkers an der Waage gefoltert. Unter der Folter legte sie ein Geständnis ab, widerrief aber einige Tage später. Das soll ihr nichts nützen.

Seit dem 13. Jahrhundert ist Hall – die Stadt, in der der Heller geprägt wurde – unabhängige Reichsstadt. Oberster Gerichtsherr ist der Rat der Stadt; selbst das Blutgericht kann er verhängen.

Wie ein offener Erker ragt die Prangerbühne auf den Marktplatz. Der Stadtbüttel stößt Katharina Schloßstein hinauf, schließt sie in die Halseysen ein. Vor ihrer Brust baumelt ein Schild mit ihrem Namen und ihrem Verbrechen. Sie blickt auf das Rathaus zur Rechten, auf St. Michael mit der Freitreppe zur Linken, auf den Volksauflauf zu ihren Füßen.

Ihr Pranger ist der schönste der heutigen Republik. Eine hübsch behauene Sandsteinsäule, gekrönt von einer fein ziselierten Fiale. Ein ästhetisch gearbeitetes Peinigungsinstrument. Seit dem Entstehen der Städte im Hochmittelalter tauchte der Pranger als Mittel der Strafjustiz, übernommen aus dem germanischen Recht, überall auf.

Keine Stadt mehr ohne diese Schandbühne, auf der die Verurteilten ihre „Ehrenstrafe“ eine viertel Stunde, manchmal auch bis zu eineinhalb Stunden abbüßen mußten.

Sieder, Gerber, Weißbäcker und andere zünftige Handwerker, Bettlerinnen, Wäscherinnen, Tagelöhnerinnen haben sich um Katharina Schloßstein versammelt. Sie keifen, sie höhnen, sie spucken. 5.000 Menschen leben im 16. Jahrhundert in Hall, hauptsächlich von der Salzsiederei. Faulige Abfälle fliegen der Frau ins Gesicht (weder Tomaten – die wurden gerade erst in Europa eingeführt, noch Eier – die waren zu teuer), ab und zu auch ein Stein.

Angeprangert wurde bei leichteren Vergehen wie Weinpanscherei, Diebstahl, Betrug. „Leutbetrüger“ stand dann auf dem Schild am Hals, oder „Flucher“, „Gotteslästerer, „Trunkenbold“ „Erzdieb“ aber auch „Stadt- und Landhur“. Besonders beliebt war der Pranger als Zuchtmittel bei Ehebruch, vor allem bei Frauen. In roten Stiefeln mußten sich die SünderInnen gegen das 6. Gebot mancherorts präsentieren.

Für Katharina Schloßstein, die einzig heut noch bekannte Haller „Hexe“, ist der Pranger nur der harmlose erste Teil ihrer Strafe. Sie soll lebendig eingemauert werden. Hatten die Richter den Pranger nur als Nebenstrafe ersonnen, wurde häufig auch die Hauptstrafte am selben Ort vollzogen: Stäupen, Brandmarken, Ohr- oder Nase-Abschneiden.

Die Hexe Katharina Schloßstein flieht aus dem Kerker. Kurze Zeit später wird sie wieder gefaßt und umgebracht: Ertränkt am 21. Juni Anno 1574.

Heute heißt die Stadt nicht mehr Hall in Schwaben, sondern Schwäbisch Hall, lebt nicht mehr von der Salzsiederei, sondern von der Bausparkasse und der Pranger hat ausgedient. Nur bei den allerorts beliebten Mittelalterspektakeln darf er noch mitspielen.

Während der Nazi-Zeit sollen sich einige Haller an seine sprüngliche Bedeutung erinnert haben: Sie hetzten eine Frau durch die Stadt, schoren ihren Kopf kahl und stellten sie an den Schandpfahl – angeblich hatte sie eine Beziehung zu einem französischen Kriegsgefangenen. Bascha Mika

Unser Denk-Mal morgen: Der taz-Tisch