Ein neuer Chef fürs Bremer Theater

■ Klaus Pierwoß wechselt 1994 vom Ostberliner Maxim-Gorki-Theater nach Bremen: als ein Generalintendant „rund um die Uhr“

Mit zehn Stimmen gegen eine hat der Aufsichtsrat des Bremer Theaters verfügt: Klaus Pierwoß, derzeit noch Chefdramaturg am Maxim-Gorki-Theater in Ostberlin, wird ab dem Sommer 1994 das Bremer Theater leiten. Diese unerwartet rasche Entscheidung geht im wesentlichen auf die Findungsarbeit der Kultursenatorin zurück. Damit soll, wie Helga Trüpel

Ein Mann des Sprechtheaters, der selten selber Regie führt

vor der Presse sagte, dafür gesorgt sein, daß sich die Theaterverhältnisse „nicht weiter destabilisieren“.

Pierwoß, Jahrgang '42, stand, ehe er nach Ostberlin zog, von '85 bis '90 dem Kölner Schauspiel vor; er ist ein Mann des Sprechtheaters. Allerdings hat er nur in Ausnahmefällen selber inszeniert: „Wissen Sie, mit regieführenden Intendanten hab ich ganz schlechte Erfahrungen gemacht“, sagte er, „die sind ja im letzten Probenmonat kaum mehr ansprechbar“. Er dagegen möchte „rund um die Uhr präsent“ sein; für ein neues Profil des Theaters sollen erstens junge, aufbruchsfrohe Talente und zweitens ein, zwei Hausregisseure sorgen.

Daß Pierwoß sich diesbezüglich in der Szene ausreichend auskennt, ist anzunehmen: Ihm, der im Grunde ein Dramaturg ist und immer wieder als solcher gearbeitet hat, ihm eilt nicht nur der Ruf eines Kenners der Bühnenliteratur voraus; er hat auch vielerlei Kontakte zu Machern jeder Sorte akkumuliert, nicht zuletzt als Vorsitzender des Dramaturgen-Berufsverbandes, der „Dramaturgischen Gesellschaft“.

Dort wird übrigens gerade an einem Vorschlag für ein neues Tarifgesetz gearbeitet. Schon lang seufzen die Stadttheater unter der Last sieben verschiednener Tarifverträge dahin; jetzt soll erstmals der Entwurf eines einheitlichen Vertrags auf den Tisch - „das Reden nimmt ja sonst kein Ende mehr“, sagte Pierwoß. Daß vielleicht gar in Bremen dem Verhau modellhaft ein Ende bereitet wird, will er nicht ausschließen. Auch das zweite vielbesprochene Reformelement, nämlich der Aufbau von Teams mit flexibler Arbeitszeit, die zu einzelnen Produktionen zusammentreten, soll jetzt ernsthaft erwogen werden.

Pierwoß gilt, bei all seinem durchaus bezaubernden Einschlag ins Gastwirtshafte, als entschiedener Charakter. „Unbedingt“ will er denn auch am Dreispartentheater festhalten; es gebe viele junge Tanztheatermacher, „gerade an kleineren Orten“, die dereinst als Nachfolger Hans Kresniks in Frage kämen. Überhaupt soll, wenn es nach ihm geht, der Spielbetrieb rasant erweitert und nicht zusammengeknapst werden. Die Zahl der Schließtage, wie sie sich in Bremen eingebürgert hat, findet er „erschreckend“. Auch das Concordia, welches derzeit im Jahr nur 20 Vorstellungen erlebt, möchte er eines Tages wieder anständig bespielen.

Die Kultursenatorin allerdings prophezeit dem Theater schon eine Sparquote von zwei Millionen Mark jährlich. Zwar soll im Gegenzug das verbleibende Geld dem Theater auf fünf Jahre versprochen sein; in diesem Zeitraum darf es sich's zudem frei einteilen. Am unbedingten Sparzwang aber ändert das nichts. Pierwoß traut sich, unter Verzicht auf teure Gäste, schon zu, mit dem Etat auszukommen: „Mein Vorgänger ist ja leider nicht sehr verantwortlich mit den Mitteln umgegangen“, sagt er, „außerdem hat ja das Jammern über Knappheit oft schon sehr rituelle Züge angenommen. Man kann auch mit wenig Geld gutes Theater machen. Daß mir mehr lieber wäre, will ich dennoch nicht verhehlen.“

Ein Theater, welches keineswegs auf Prominenz setzt, verheißt also der Neue, eines, welches unverbrauchten Neuerern ein „Erprobungsfeld“ bietet, ein „kräftiges Theater“ zumal: „Das Esoterische kann ich nicht leiden.“

Es wird, wie es aus guten Gründen üblich ist, „die großen Stücke des Welttheaters“ geben und nebenher das Allerzeitgenössischste; der Spielplan soll ein bißchen „unberechenbar“ bleiben und keinerlei didaktische Absichten verfolgen.

Näherhin allerdings mochte sich Pierwoß noch nicht auslassen: Er, der sich gar nicht selber beworben hat, mußte sich ziemlich schnell für oder wider Bremen entscheiden. Jetzt, da er's getan hat, nicht ganz unbeeindruckt, wie er sagt, von einer anhaltenden „Strahlkraft“ des Wortes „Bremer Theater“, jetzt will er sich sputen, um schon im nächsten Jahr richtig anfangen zu können. Eine längere Übergangszeit, wie sie zuletzt noch der Verwaltungsdirektor Rempe erwogen hatte, „das wäre, glaube ich, eher schädlich gewesen. Einfach nicht Fisch und nicht Fleisch.“ schak