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Wohlinszenierte Improvisation

■ „Toy Toy Toy“ – Varieté in der Bar jeder Vernunft

Franko Zapelli, der Sägenvirtuose und Tonmeister auf Gläsern und Kaffeeschalen, bringt seine Kunst nur zu Gehör, weil er hofft, das Publikum danach aus dem Zelt scheuchen und endlich gehen zu können. Deswegen haben die anderen ihn im zweiten Teil der Vorstellung angebunden. Wenn Markus Jeroch auf dem Flügel steht und im Rhythmus von „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ jongliert, lagern drei seiner Kollegen auf dem Boden und haben sich mit Bällen dekoriert. Und wenn Sabine Knatz am vertikalen Seil scheinbar die Schwerkraft überwindet und unter der Zeltkuppel einen Ausdruckstanz vollführt, bemächtigt sich Axel Lauer des Seilendes und schwingt es fröhlich hin und her.

„Toy Toy Toy“, der Titel des Spiegelzelt-Varietés in der Bar jeder Vernunft, ist auch in diesem Sinne das Motto des Abends: Jeder ist das Spielzeug der anderen. Hier spult sich kein Nummernprogramm ab, sondern die sieben Darsteller machen eher auf chaotisches Wandertheater: Sie sind ihre eigenen Requisiteure, Geräuschmaschinen und Kulissenteile und machen keinen Hehl aus Patzern, internen Rangeleien oder ihrer Gereiztheit gegenüber dem Publikum. Dieses fühlt sich dadurch so angenehm düpiert, daß es anfängt zu rasen, wenn beispielsweise Nessi Tausendschön schlechtgelaunt in die Runde blickt, das „Männermaterial“ taxiert und urteilt: „Lauter Schnurrbartträger. Ekelhaft.“

Dann singt sie aber doch ihr Liebeslied, dessen die Anwesenden eigentlich nicht würdig sind. Sie singt es als Ella Fitzgerald oder Nena oder Anneliese Rothenberger. Nessi Tausendschön ist Gesangsparodistin und nebenbei der böse Clown des Abends. Sie zeigt so viel trockenen Witz und komisch-kalkuliertes Ungeschick, daß selbst wenn sie sich mehrfach auf dem Boden wälzt, das Publikum natürlich eigentlich ihr zu Füßen liegt.

Es müßte einmal jemand untersuchen, weswegen man über manche Maschen immer wieder lachen muß (wie im Falle Tausendschön), andere indessen nur beim erstenmal lustig findet. Als Markus Jeroch vor Urzeiten im Chamäleon sein „Dornröschen“-Märchen in der Kändlerfassung vortrug, war das brüllend komisch. Sein Soloprogramm mit Jandl- und Kändler- Texten, aus dem er auch in „Toy Toy Toy“ zitiert, wirkt nur noch ermüdend. Jeroch erzählt mimisch und gestisch keine Geschichten, sondern illustriert, was er spricht, durchgängig im Habitus des hektisch-steifen Professors. Das nutzt sich bereits im ersten Wiedererkennungsmoment ab.

Ganz anders das verschwörerische Augenrollen von Farce D. Frappe, der mit bürgerlichem Namen Karlheinz Helmschroth heißt und das Spiel auf der doppelten Ebene glänzend beherrscht. Als Don Quichotte bleibt er völlig konzentriert in seiner pathetischen Rolle aus der Maske-und-Kothurnzeit und bringt gleichzeitig den genervten Schauspieler zum Ausdruck, der wiederum nicht ohne Lust das Publikum mit seinem Auftritt quält. Farce D. Frappe spielt außerdem auf dem Baß, fährt auf dem Einrad und jongliert. Eine zauberhaft wehmütige Nummer hat er als Clochard, der einen ramponierten Hut, einen zerknautschten Ball und einen Regenschirm zum Zirkulieren bringt. Ihm ist ein Großteil des Charmes zu verdanken, den das Spiegelzelt- Programm hat.

Dieser Charme entsteht nicht durch die Leichtigkeit perfekter Leistung, wie bei den „Kapriolen“ im Wintergarten, sondern aus dem scheinbar Improvisierten, dem inszenierten Chaos, der Koketterie mit dem Rollenspiel Künstler/Publikum und natürlich durch das immer wieder unprätentiös bewiesene Können des Ensembles – inklusive seines Pianisten Andreas Kohlmann und dem musikalischen Leiter Rolf Hammermüller. Petra Kohse

„Toy Toy Toy“ nur noch heute, morgen und am Sonntag, jeweils 20.30 Uhr in der Bar jeder Vernunft, Spiegelzelt an der Freien Volksbühne, Schaperstraße 24, Wilmersdorf.

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