Durchs Dröhnland
: Überaus freitagslastig, dieses Mal

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Nehmen Sie Platz in unserer kleinen Zeitmaschine. Oder erinnern Sie sich an die „Blues Brothers“: Dan Akroyd hat gerade John Belushi vom Knast abgeholt, man rollt im „Bluesmobil“ durch die Nacht, in den Kassettenschlitz rollt „The Best of Sam & Save“. Kein Kostüm, kein Bild hätte die 60er Jahre eindrücklicher beschwören können als die folgenden Klänge. In dieser unserer retrospektiven Zeit, in der ein Großteil der Konsumenten sichtlich überfordert ist, sich mit dem als „seelenloser Maschinenmusik“ verschrienen Pop anzufreunden, haben solche handgemachten Töne wieder eindrucksvolle Hochkonjunktur. Da kamen die Holmes Brothers zum Dekadenwechsel gerade recht und bescherten dem Berliner Zensor und seinem gleichnamigen Label einen überraschenden Kritikererfolg. Die nicht mehr ganz taufrischen Brüder taten einfach das, was sie Jahrzehnte lang schon getan hatten, aber waren endlich mal am richtigen Ort zur rechten Zeit. Das Schwelgen in warmen Bläsern, die hingetupften Baßlinien, die ausgeklügelten Call-and- Response-Gesänge stehen den Neville Brothers, ungekrönten Königen des Metiers, kaum nach. Einzig bei den eigenen Songs tun sich die Holmes Brothers noch schwer und behelfen sich mit einschlägigen Coverversionen von Sam Cooke oder Tommy Tucker. Doch auch der religiösen Hank- Williams-Hymne „I Saw The Light“ verpassen sie ihr thematisch fälliges Gospel-Korsett, ohne daß die Country-&-Western-Intention völlig verlorenginge. Die Holmes Brothers sind vor allem sehr versierte Handwerker, schlicht mit das Beste, was die Zeitmaschine im Moment zu bieten hat.

Am 20.8. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg

Der Mann ist ein gebranntes Kind, Billy Milano ist sein Name. Ist seine Geschichte die eines Mannes, der sich nur mal falsch ausgedrückt hat und seitdem ungerechterweise damit zu kämpfen hat? Oder ist die Geschichte von einer Vergangenheit, von der er inzwischen einfach nichts mehr wissen will, eine Lügen-Geschichte? Vielleicht ist die Geschichte von Billy Milano auch nur ein gutes Beispiel, wie nah beiennander Ausdrucksmöglichkeiten liegen können und daß — oft zu Recht einsetzende — Mechanismen nicht immer richtig funktionieren und dann auch manchmal den Falschen treffen. Billy Milano war Sänger der New Yorker Hardcore-Pioniere S.O.D. (Storm-Troopers of Death). Die verfaßten drei, vier zwiespältige Texte, die vor allem von der deutschen Presse, sensibilisiert durch bekannte heimische Vorkommnisse, ausführlich faschistisch gedeutet wurden. Mal abgesehen davon, daß kulturelle Unterschiede zwischen hier und dort bei der Bewertung nicht berücksichtigt wurden, daß der Hardcore überhaupt eine überaus drastische Sprache bevorzugt und daß inzwischen eine übermächtige Garde von Death- und Doombands längst Deftigeres von sich gibt, hatte Milano noch nicht mal die inkriminierten Textzeilen verfaßt. Als Sänger blieben sie an ihm hängen, obwohl sie von Scott Ian stammten, der nach dem Split von S.O.D. völlig unvorbelastet mit Anthrax eine mittelschwere Weltkarriere angehen konnte. Milano bemüht sich seitdem auf ausführlichen Interview- Touren um ein Geraderücken des falschen Eindrucks, distanziert sich eindeutig von faschistischem Gedankengut, entschuldigt die Mißverständnisse von damals als falsch verstandenen Sarkasmus und bemühte sich auf der aktuellen CD „Rhythm of Fear“ seiner momentanen Band M.O.D. (Method of Destruction) ganz bewußt um eindeutige Aussagen. So ist der Opener „Dead End“ eine für den Hardcore typische apokalyptische Big-Brother-Vision, der Milano einzig die Hoffnung entgegenstellt, wenigstens über sich selbst noch die Kontrolle behalten zu können. Musikalisch ist „Rhythm of Fear“ einer der gelungensten Versuche der seit einigen Jahren andauernden Welle, Rap und Metal zu fusionieren. Zwar liegt bei M.O.D. der Schwerpunkt eindeutig auf Metal, aber das dumpfe Stampfen der Gitarren ist inzwischen meilenweit vom Geschwindigkeitsdrang aus früheren HC-Zeiten entfernt und dient einzig dem Groove. Nach „Dead End“ folgt denn auch programmatisch „Get Up and Dance“ statt eines zu erwartenden „Get Up and Fight“. Milanos Gesang wechselt zwischen dem üblichen Geblöke und einem schwerfälligen Rapstyle, der aber ungemein angemessen klingt, weil er nicht versucht, sich eine fremde Kultur anzueignen, sondern diese mit den notwendigen Defiziten in den eigenen Kontext überführt, mithin einen respektvollen Sicherheitsabstand hält. Aber nichts davon klärt die Eingangsfrage, und so bleibt abzuwarten, ob sich Milano als Lügner oder Mißverstandener entpuppen wird. Noch ist nicht klar, ob das Konzert wie im Falle von Type- O-Negative (bei denen lagen die Dinge allerdings sehr viel eindeutiger) verhindert werden wird.

Am 20.8. um 20 Uhr beim „Full Of Core-Festival“ mit Mind Over Four und den Spudmonsters in der Alten TU-Mensa, Hardenbergplatz, Charlottenburg

Schon seit Donnerstag laufen „Euro Vision and Sounds“, veranstaltet von der Londoner Future Art Productions, zuständig für Multi-Media-Spektakel. Hier soll unter einen Hut gebracht werden, was eine ziemlich weiträumige Krempe braucht: „Von Dance-DJ bis Rock“ verspricht das Konzept, und sei „trotzdem kein konzeptloser Gemischtwarenladen“. Herzstück der drei (ab heute nur noch zwei) Tage sind BA6D, ein Projekt der Veranstalter selbst, mit einer Live-Laser- Show inklusive selbstproduzierter Musik. Dazu dann noch Ultraviolate, die eine Zirkusnummer mit Trapez und Seil, aber auch Body Painting und Akrobatik zum besten geben. Anschließend dann verschiedene Live-Musik-Projekte und DJs bis sechs Uhr morgens. Parallel spielen im kleinen Saal ganz schnöde Rockbands, heute This Shrinking Feeling, morgen die Lord Litter Band, beide aus Berlin.

Am 20.8. und 21.8. ab 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt und Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Kreuzberg

Und nun wieder unser beliebter Hinweis auf die garantierte gute Laune. Blyth Power sind nur ein knappes halbes Jahr nach ihrem letzten Auftritt schon wieder in der Stadt, Aushilfs-Oskar-Matzerath Josef Porta trommelt immer noch, singt immer noch verzweifelte Folk-Stomper und erzählt immer noch dieselben todsterbenstraurigen Geschichten. Wir versprechen einen Abend voll ehrlichen Pathos', heimlich verdrückten Tränen, viel Schweiß und Gefühlen, die echter als das wahre Leben sind. All das, was Kino uns schon lange nicht mehr zu bieten in der Lage ist. Man möchte ständig heulen, wenn man nicht schon so besoffen wäre.

Am 20.8. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Str. 257, Schöneberg

Damit in dieser Rubrik die Woche nicht schon am Freitag wieder zu Ende ist, spielen noch Flipper zum Ausklang. Die vier Herren reklamieren für sich, den Grunge schon erfunden zu haben, bevor jemand wußte, was das überhaupt ist. Da das Originäre des Seattle-Sounds immer noch nicht völlig klar definiert ist, glauben wir ihnen mal und stellen fest, daß Flipper immer noch einen exakt so herzhaft träge dümpelnden Sound machen wie in den ausgehenden 70ern, was ihnen damals Kultstatus und viel Unverständnis bescherte. Fast zehn Jahre Pause haben sie sich für ihr aktuelles Album genommen, was den drei nun eben nicht mehr sehr jungen Herren hörbar gut bekommen ist. Auf der Höhe der Zeit, möchte man sagen, auch wenn hin und wieder der Punk-Hang zum Mitgrölrefrain sich Bahn bricht. Größtes Verdienst der vier aus San Francisco ist aber vor allem, daß man bei ihnen so überhaupt nicht an dicke Bierbäuche und graumelierte Schläfen denken muß, was einem z.B. bei den Buzzcocks selbst mit geschlossenen Augen unweigerlich in den Sinn kam.

Am 26.8. um 21 Uhr im Huxley's Junior Thomas Winkler