Betr.: "Gericht: Ja zur Aufhebung von Tempo 30", taz vom 22.7.93

betr.: „Gericht: Ja zur Aufhebung von Tempo 30“,

taz vom 22.7.93

[...] Den Menschen dieser Straße wird damit nicht zu ihrem Recht auf ruhiges, unbelastetes und ungefährliches Wohnen verholfen. Sie müssen weiterhin den Preis für die ungezügelte Verkehrspolitik des Hauses Haase bezahlen: Lärm, Abgase und die unmittelbare Gefährdung von Leib und Leben durch rasend gewordene Autofahrer haben sie, ohne Ausgleich des Verlustes von Lebensqualität zu ertragen.

Daß es Haase nicht um die Sicherheit auf der Straße gehen konnte, macht die Mißachtung der Vorschläge des Polizeipräsidenten zur Beibehaltung der Tempo-30- Regelung deutlich. Vollkommen zynisch wird Herr Haase, wenn er behauptet, „daß es in der ,Natur‘ der Sache (liege), daß Anlieger an einer Straße in höherem Maße von der Abgas- und Lärmbelästigung dieser Straße betroffen seien als die Allgemeinheit.“ Nur ist a) „die Allgemeinheit“ Anlieger an Straßen, allerdings nicht an so ruhigen wie der von Herrn Haases Domizil in Lichtenrade, und b) ist in diesem Falle von Natur keine Spur zu finden.

Als Christdemokrat ist der Verkehrssenator ein gläubiger Mann. Für ihn liegt Verkehrslenkung und Reduzierung außerhalb jeder Einflußmöglichkeit. Die negativen Auswirkungen des MIV (Mot. Individual Verkehr) liegen zwar in der Sache begründet, haben aber mit Natur nichts zu tun und sind im Gegensatz zu dieser auch nicht vom „lieben Gott“ gemacht – im Gegenteil. Und noch etwas: Während Karlsruhe das ungeborene Leben schützt, wird es als geborenes auf und durch die Straße wieder gefährdet. Anstatt diese Gefährdung soweit wie möglich zu reduzieren – wie es seine Aufgabe wäre –, wird sie vom Verkehrssenator entgegen jeder Vernunft und Not – schließlich hat niemand auf Wiedereinführung von Tempo 50 geklagt – wieder maximiert!

Die Akazienstraße hat 24 Hausnummern. In jedem Haus gibt es zur Straße mindestens acht Wohnungen. In jeder Wohnung leben drei Menschen, das sind in der ganzen Straße etwa 576 Anwohner. Die dürfen weiter mehr als 10.000 Autos am Tag genießen, dürfen weiter Lärm und Gestank auskosten, nicht nur um ihre Kinder und Alten, sondern auch um sich bangen, wenn sie zum Schrippenholen über die Straße müssen – und dies alles für einen theoretischen Zeit„gewinn“ von elf Sekunden [für die AutofahrerInnen. d.sin].

So, Herr Haase, macht man sich keine Freunde, denn rund 100 Prozent der Menschen sind zehn und mehr Stunden Anwohner und nur ein Drittel als Autofahrer für ein bis zwei Stunden im frustrierenden Gewühl außerhalb ihrer vier Wände unterwegs. Machen sich die Leute erst mal diese Tatsache bewußt, hat Prof. Haases politisches Stündchen geschlagen. Bleibt den geplagten Anwohnern die Hoffnung, daß die abgetrennten Einsprüche in anderen Kammern verständigere Richter finden und nicht „von Haase“ sind. Rolf Brünning