: Immer noch schwierig, ein Inländer zu sein?
■ Die Genossen und das Nationale – Buchpremiere im Zeughaus Unter den Linden
Da steht er nun verloren im Raum, der arme Satz: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“ Der junge Mann da vorne am Rednerpult hat ihn hervorgebracht, mit einem Anflug von Kindertrotz in der Stimme. Was soll der Satz hier, im ziemlich zivilen Ambiente des Filmsaals im Zeughaus Unter den Linden. Es sollte doch eigentlich nur ein Buch vorgestellt werden, das die Ost- und Deutschlandpolitik der SPD angreift: Tilman Fichters „Die SPD und die Nation“.
Für unsereinen, der von seiner Generation dachte, sie habe am Ende sogar gelernt, sich nichts mehr darauf einzubilden, daß sie sich nichts darauf einbildet, deutsch zu sein, ist nicht leicht faßbar, was hier vorgeht: Da vorn steht Steffen Reiche, Mitbegründer der SDP, der es schon zum Landesvorsitzenden der SPD in Brandenburg gebracht hat und es dabei sicher nicht wird bewenden lassen, und er ist stolz darauf, daß er sich traut zuzugeben, stolz darauf zu sein, ein Deutscher zu sein.
Was er uns damit sagen will? Er weiß es wahrscheinlich ebensowenig wie jene verwirrten Jugendlichen, mit welchen ihn außer dem Gebrauch des armen Sätzchens wenig verbindet. Was er als wenig überzeugendes Lippenbekenntnis hervorbringt, lassen sie sich in die Haut schnitzen. Was ihn in seiner Partei zum „Querdenker“ macht, macht jene in der Gesellschaft zu Parias. Ein schöner Beispielfall für die Linguisten: Wie man mit einerlei Aussage recht unterschiedliche Wirkungen erzielt.
Aber mit Sarkasmus kommen wir hier nicht durch. Herr Reiche nennt nämlich einen besonders aparten Grund, warum die Nation auf die Tagesordnung gehört: Es gelte, sich des Rechtsextremismus zu erwehren, indem man seinen ideologischen Rädelsführern die Rede von der Nation entwendet. (Eine Paraphrase des Satzes, daß die Wahlen künftig „rechts von der Mitte“ gewonnen werden.) Da stellt sich dem Besucher dieser Veranstaltung allerdings die Frage, ob die Herren Genossen jemals an die Überzeugungskraft ihrer Konkurrenten heranreichen werden. Im Unterschied zu jenen fehlt ihnen nämlich eine klare Vorstellung von der besonderen Qualität der deutschen Nationalität. Während Herr Gansel sich noch mit lästigen Altbeständen des schnöden Sternberger-Habermasschen Verfassungspatriotismus herumschlägt und sich keinen ethnischen, sondern „nur einen moralischen Nationenbegriff“ vorstellen mag, jongliert Herr Zitelmann vom Ullstein Verlag später schon so locker mit den Begriffen „Nation“ und „Volk“, daß mancher wohl glauben möchte, der Unterschied sei reine Sophisterei. Ist er aber nicht. Daß die Deutschen keinen Unterschied zwischen Nation und Volk machten, begründet ihre Verspätung gegenüber Frankreich, England und den USA, wie Helmuth Plessner schon in den 30er Jahren gezeigt hat. Daß dies bis heute nicht verstanden wurde, hat Karl Heinz Bohrer jüngst auch in dieser Zeitung beklagt (taz vom 20. März 1993).
Der neue Nationalismus, der nicht mehr im Namen eines Sonderwegs, sondern der „Normalisierung“ daherkommt, ist ein Anachronismus, wie Norbert Gansels pseudo-funktionalistische Begründung bewies: Die Nation sei heute unabdingbar als Solidargemeinschaft – der Appell an die nationale Solidarität sei der einzige Weg, einem Arbeiter in Frankfurt/M. das Sonderopfer für den Kollegen in Frankfurt/O. abzuringen. Schwer vorzustellen allerdings, daß dieser Appell auch ausreichen sollte, um etwa vor türkischen Arbeitern in Solingen zu begründen, daß sie weiter ihren Solidarbeitrag für den Aufschwung Ost leisten sollen.
Man versteht es nicht: Wenn die Bundesrepublik eine politisch-kulturelle Errungenschaft zu verteidigen hat, dann doch wohl die erstaunliche Entspanntheit in Fragen der nationalen Identität. Deutscher zu sein ist (war?) für Bundesrepublikaner erstmals kein schwierigeres oder leichteres Los als irgendein anderes. Welche Gelegenheit, statt über die ominösen Qualitäten der deutschen Nation über ihr Staatsbürgerrecht zu reden.
Der Nationalismus hat die Rechte dumm gemacht, der Antinationalismus hat die Linke blockiert, der neue Anti-Antinationalismus macht Ex-Linke borniert, und ein Anti-Anti-Antinationalismus wird wohl auch niemanden erleuchten. Bleibt der bescheidene Wunsch: Man möge uns mit allen Spielarten des nationalen Themas verschonen. Jörg Lau
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