Dieser exotische Stil

Alle paar Jahre ein Blues-Revival – und doch hat die Reokkupation der „Roots“ durch Junge Schwarze den Blues bislang vergessen. Riecht er zu sehr nach schwarzem Verlierertum oder ist er inzwischen zu weiß?  ■ Von Jörg Feyer

Auf dem Titelbild des französischen Hochglanzmagazins für Nachwuchsgitarristen buhlen mit einem Verweis auf ein Blues-Special gleich drei noch unter uns weilende Musiker um die Gunst der Leserschaft (und kurbeln damit natürlich auch ihre Plattenverkäufe an). John Lee Hooker? B.B. King? Buddy Guy oder Albert Collins? Vielleicht Robert Cray? Nein, es sind allesamt weiße Musiker, zwei Briten (Eric Clapton, Jeff Beck) und ein Ire (Gary Moore).

Alles beim alten also? So wie damals, als Elvis seine Lektion auf der anderen Seite von Memphis bestens lernte, als sich die Stones bei Muddy Waters, Chuck Berry und Robert Johnson bedienten, als Led Zeppelin Willie Dixons „I Need Love“ kurzentschlossen in „Whole Lotta Love“ umbenannten, als weiße Schnulzenkönige ihre Pop-Hits bei schwarzen Rhythm'n'Blues-Originalen hijackten – nein wirklich, covern ist hier einfach das falsche Wort.

Schwarze Schöpfung und weiße Wertschöpfung – so einfach scheint sie, diese Wahrheit, der berühmte rassistische Faden durch die Geschichte der Musik. So einfach? Oder doch zum Teil auch ein Klischee, das dadurch nicht richtiger wird, daß man es bei jeder Gelegenheit stupide aus der Schublade holt? Wo stünde denn andererseits der Blues, wenn nicht weiße, europäische Konzertveranstalter, Fans und Musiker ihn in den Sechzigern – wenn auch aus kommerziellen Gründen – für sich entdeckt, das Werk von Muddy Waters oder Lightnin' Hopkins dokumentiert, interpretiert und, mit elektrifiziertem Rock-Einschlag, ja, auch weiterentwickelt hätten? Daß sie diese Signale aus einer anderen Welt dabei auch erbarmungslos romantisierten, auf die Ikone des Cotton-Cropping-Trauerkloßes verkürzten, steht auf einem anderen Blatt. Dort, wo das schlechte, weiße Gewissen heftigst pochte – und dabei auch einen neuen, einen sublimeren Rassismus hervorbrachte: Schwarze haben bemitleidenswerte Loser zu sein, nicht etwa strahlende, mit ihrem Reichtum protzende Winner.

Daheim wollte man unterdessen vom Blues schon längst nicht mehr allzuviel wissen. Sein Bastard-Baby mit Namen Rock'n'Roll hatte Big Ole Daddy auf die hinteren Ränge verwiesen. Auch die schwarze Gemeinde distanzierte sich, zunächst im Soul, der nicht länger verpaßten Chancen hinterhertrauerte, sondern von Aufbruch, Stolz und – endlich! – Respect kündete. Blues? Olle Kamellen, die muffig und bitter schmeckten, nach psychischen und physischen Deformationen, an die man lieber nicht erinnert werden wollte. Später flüchteten die Enttäuschten dann in die Dancefloor-Euphorie, tanzten sich in der Disco selbstvergessen den Fluch der schlimmen Vergangenheit vom Leib und aus den schmucken Kleidern. Wer wollte es Ihnen verdenken?

Es steht – aller Revival zum Trotz – nicht besonders gut um den Blues, und sein Siechtum hält nicht erst seit gestern an. Die schwarze Mittelklasse, die sich im Gefolge der Bürgerrechtsbewegung eine solide Suburb-Existenz mit Zweitwagen und Drittfernseher erwirtschaftet hatte, wollte schon damals, in den Siebzigern, nichts mehr vom Blues wissen. Hier triumphierte spätestens in den Achtzigern ein steriler Modern-Soul, der in typisch schwarzer Dialektik Erfüllung und Verheißung zwischen seidenen Bettlaken im Sex- Diesseits und göttlichen Lobpreisungen in froher Erwartung aufs himmlische Jenseits versprach. Und schon war der Blues „plötzlich dieser exotische Stil, zu dem gerade junge Schwarze kaum eine Beziehung aufbauen konnten“.

„Nur traurige Songs“

Sofern man nicht wie Louis Walker, von dem dieses Zitat stammt (eine immerhin auch schon 45jährige Blues-„Hoffnung“), schon in jungen Jahren von der Mutter morgens, mittags und abends mit „B.B. King, B.B. King und nochmals B.B. King“ geimpft wurde. Zwischenzeitlich, in den Siebzigern, war aber selbst Walker jahrelang zwecks Broterwerb in eine Gospel-Band geflüchtet (die in Kirchen immer genug zu tun haben werden). Walker auf die Frage, welches denn heute das größte Mißverständnis über den Blues sei? „Daß die meisten Leute immer noch denken, das sind nur traurige Songs.“

Ja, es steht nicht so gut um Gevatter Blues. Inzwischen hatte nämlich auch der HipHop schwarze wie weiße Kids in Beschlag genommen, mit einem für entrechtete und perspektivlose wie pubertierende und rebellierend sinnsuchende Jugend unwiderstehlichen Code aus Outfit, Sprache und Attitüde. Selbst einem Eric Clapton fiel plötzlich auf, daß „die schwarzen Jungs heute doch alle auf HipHop stehen“. Blues- Shows, so fürchtete der Meister, könnten „bald zu einer Art Requiem für eine sterbende musikalische Gattung“ verkommen. Viele Alt-Blueser stehen dem Rap wenn nicht offen ablehnend, so doch einigermaßen verständnis-, ratlos und skeptisch gegenüber. Da mochte Kollege B.B. King noch so verzweifelt (und richtig) darauf hinweisen, daß sich der HipHop „ja auch auf die Wurzeln im Talkin'-Blues-Stil zurückführen“ ließe.

Das war inzwischen auch einigen Rappern selbst aufgefallen, die sich ja ganz bewußt, im Sinne der Reokkupation von Black History, in der Vergangenheit bedienen und dabei zwangsläufig auch auf ein paar Blues-Versatzstücke als Sample (etwa bei Arrested Development und Gang Starr) stoßen mußten. Merkwürdigerweise wurde diese Connection journalistischerseits auch nicht entfernt so ausgiebig und enthusiastisch thematisiert wie die Jazz-Rap-Liaison.

„Den Wurzeln treu“

„Bebop = HipHop“ liest sich auf dem Papier ja auch viel besser (auch wenn's in der Praxis meist herbeigeschrieben werden sollte). Hier schlägt wohl der elitäre Dünkel nochmal durch, der nicht wenige Linke und Intellektuelle aus einer ,alternativen‘ subkulturellen Avantgarde zum Blues des einfachen Mannes auf ähnlichen Abstand gehen läßt wie etwa zum wesensverwandten Country.

A propos: Anders als Country hat der Blues eine Erneuerung aus sich selbst heraus bisher nur sehr begrenzt geschafft. Wie auch? Ein weißer Epigone wie Gary Moore erschöpft sich in klinischen, effektheischenden Klischees. Ein alternder Verehrer wie Eric Clapton mag – erinnert sei an seine alten Platten mit John Mayall's Bluesbreakers – gewisse Verdienste um den Blues haben. Aber neue Perspektiven jenseits des bloß „gekonnten“ Nachempfindens darf man von ihm natürlich nicht mehr erwarten.

Immerhin durften sich jetzt auch schwarze Veteranen über ordentliche Umsätze freuen, wobei nur Robert Johnson, von dessen posthumer CD-Box in den USA sensationelle Stückzahlen abgesetzt wurden, die gutdotierten Tantiemenschecks nicht mehr persönlich in Empfang nehmen konnte. Derweil spiel(t)en John Lee Hooker und Buddy Guy mit beträchtlichem Gaststar-Aufgebot immer noch (oder schon wieder) ihren alten Stiefel runter – beziehungsweise blieben, so die beliebte Formulierung für derartige Fälle, „ihren Wurzeln treu.“ Aber eben

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auch „nur“ das. „Erneuerer“? Robert Cray vielleicht, in seinen besseren Tagen: Smart genug, um bei Hennes & Mauritz-Kundschaft landen zu können – authentisch genug, um Puristen nicht zu verschrecken. Doch ähnlich gepolte und kaum minder talentierte Soul- Grenzgänger wie Walter „Wolfman“ Washington, Larry McCray oder Jay Owens konnten vom Cray-Crossover nicht profitieren, weil die Begeisterung, die er bei einem breiteren Publikum hervorrief, schneller als erhofft abebbte. Oder doch nie so groß war.

„Urban Contemporaries“

Die umfassende Revitalisierung von innen blieb nicht zuletzt deshalb aus, weil sie hier (anders als im expandierten Country-Format) kaum auf Unterstützung von draußen hoffen konnte. „Schwarze“ Radiostationen? „Es gibt kein schwarzes Radio in den USA, sie nennen es nur so“, stellt der Produzent John Snyder mit bitter-spöttischem Unterton fest. Und sie nennen es meist noch nicht mal so, sondern Urban Contemporary. Und da läuft (fast) kein Blues – und Rap in Maßen seit einiger Zeit auch nur, weil diese Stationen aus kommerziellen Erwägungen (die Werbung, die Werbung!) nicht länger dran vorbeikamen.

So erreicht der Blues in den USA auch heute kaum noch ein schwarzes Publikum, abgesehen vielleicht von einigen Regionen des Südens, abgesehen auch von Ausnahmen wie Bobby „Blue“ Bland, der auf der North Side von Chicago vor einem fast exklusiv weißen Publikum auftreten kann – und am Tag drauf in der South Side vor einem fast exklusiv schwarzen.

Eine Zukunftsprognose für diese Musik kann bei der polarisierten Situation (trotz einer ungebrochen rollenden Veröffentlichungswelle) nicht gerade optimistisch ausfallen. Zu viele wollen den Blues aus unterschiedlichen Motiven im Museum dahinsiechen lassen – die konservativen Puristen, weil ihr festgefahrenes Genre-Bild keine auch noch so geringe Erschütterung ertragen kann, die hippen Dance-Follower, weil sie zumindest diese Vergangenheit begraben und keine Innovationsmöglichkeit sehen wollen. Zweifellos hat der Blues jegliche Relevanz dort verloren, wo er sich nur im Nachempfinden einer alten, schwarzen Erfahrung erschöpft, die ohnehin viel komplexer war, als die gängigen Loser-Klischees glauben machen möchten. Doch vielleicht ist er trotzdem nicht nur historisch. Vielleicht könnte er dort wieder aktuell werden, wo diese Erfahrung lediglich als Ausgangspunkt, als variable Form einer emotionalen wie politischen Standortbestimmung dient.