Real Mensch

■ Eine ARD-Filmreihe zu Robert De Niros Fünfzigstem

Es gehört sozusagen zum guten Ton, durch die Hintertür ins Showbiz einzusteigen, aber es ist eine Kunst, dort zu bleiben. Wo Robert De Niro herkommt, aus New Yorks Little Italy, da ist von Hollywood aus gesehen nicht nur Hinterhof, sondern Keller, Ende, Lower East Side eben. De Niros Zuhause stellt man sich dementsprechend sozialromantisch als unübersichtlichen Haufen Bambini vor, Vater in verschwitztem Unterhemd, Spaghetti Bolognese, Mamamia dick und gut und an der Wand die Heilige Jungfrau. Aber bei den De Niros war es ein bißchen komplizierter: Robert De Niro senior war ein in Massachusetts ausgebildeter Maler des Abstrakten Expressionismus, die Bilder seiner Mutter, Virginia Admiral, gehörten zu den wenigen von Frauen gemalten, die das Museum of Modern Art in den fünfziger Jahren aufkaufte. In Mutters Experimental Review publizierten Henry Miller und Anais Nin, als sie noch niemand kannte. Endgültig Boheme wurde es nach der Scheidung, als die Mutter mit Robert in die Bleecker Street zog und sich mit dem auch hierzulande hochgeschätzten Filmkritiker Manny Farber zusammentat.

Die Sage geht, De Niro wäre damals am liebsten Spießer geworden, Buchhalter, Bankbeamter, Versicherungsagent. Man rief ihn Bobby Milk, weil er so blaß war. Mit allerhand anderen Künstlerkindern hockte er zwischen den Mülltonnen herum und spielte mit zehn das erste Mal Theater: den ängstlichen Löwen in „The Wizzard of Oz“, ausgerechnet.

Man meint, von diesem kindlichen Antianarchismus viel zu entdecken in seinem ungeheuren Verständnis für die verzweifelten Bemühungen von Psychotikern, Ordnung in ihr und anderer Leute Leben zu bringen. „Der Präsident sollte diese Stadt abbrennen oder in einer großen Toilette herunterspülen“, sagt Travis Bickle in „Taxi Driver“.

Nach einigem Theatertingeln landete er in den siebziger Jahren am einzig für ihn richtigen Ort: Lee Strasbergs „Actors Studio“, wo er das Method Acting bei Gott erlernte: nicht deklamieren, nicht psychologisieren, sondern machen, sein. In vielerlei Hinsicht war De Niro eine Fortsetzung Marlon Brandos mit etwas anderen Mitteln: mehr inhalieren als expressiv sein, wie Dustin Hoffman oder Al Pacino eine Rolle zu Tode spielen. Wenn man „Rain Man“, Dustin Hoffmans Verkörperung eines Autisten, mit De Niro als von der Schlafkrankheit Befallenem in „Awakenings“ vergleicht, sieht man den Unterschied deutlich: Beide haben mit entsprechenden Patienten Zeit verbracht, ihre Bewegungen studiert, aber De Niro tritt hinter seinem Protagonisten zurück, während Hoffman ihn überzeichnet und seine Gegenspieler gleich mit (bei Tom Cruise auch kein Problem).

Die ARD hat sich in ihrer De- Niro-Retro vor allem für die Epen entschieden: Den Auftakt der Reihe macht heute abend „New York, New York“ (1977), in dem De Niro an der Seite von Liza Minelli einen Saxophonspieler gibt, der mit seiner Liebsten konkurriert. Zwar hat die Chose erhebliche Längen und als Film etwas Dinohaftes, aber das Lied ist natürlich klasse, und die erste, lange Kennenlernszene ist wie ein Endlos-Walzer, zu und zu schön.

Die Diskussionen über „Die durch die Hölle gehen“ („The Deer Hunter“, 1978, 28.8.) werden wohl niemals abreißen: Ist das Vietnam-Drama der drei russischen Immigrantensöhne aus dem Bergarbeiter-Milieu in Pennsylvania nun rassistisch gegen die Vietnamesen oder nicht? Sei's drum, einer der brillantesten Filme zum Thema ist es trotzdem. Wieder versucht De Niro als Jack die Verhältnisse zu ordnen – vergebens.

Einfach ein Fest der Schauspielkunst und balladenhaften Epik ist „1900“ – Teil 1 und 2 (10. und 17.9.), in dem De Niro nun endlich selbst den sizilianischen Bohemien gibt, als Sohn eines italienischen Großgrundbesitzers vor und während des Faschismus. Dem italienischen wird ein amerikanisches Nationalepos gegenübergestellt in „Es war einmal in Amerika“ („Once Upon a Time in America“, 1984, 9.10.), in dem endlich De Niro und Sergio Leone zusammenkamen. Aber der Dampf aus dem Italo-Western hat dieses Opus nicht beflügelt, und so wäre es besser gewesen, statt dessen den „Paten“ mit in die Reihe zu nehmen.

Obwohl ihm noch viel mehr „Oscars“ zugestanden hätten, für den Boxerfilm „Wie ein wilder Stier“ („Raging Bull“, 1979, 4.9.) hat er ihn endlich bekommen. Wie jemand sich aus Paranoia und Schuld und Leid eine Schutzschicht anfrißt und was wirklich los war mit Jake La Motta, dem Mittelgewichtsstar aus Little Italy, kann man hier sehen. Der New Yorker Kritiker Jim Hoberman sah in diesem Film das Blut von den Ringseilen tropfen wie die Tränen von den Wangen der Jungfrau von Guadalupe. Ebenfalls ein katholischer Cocktail aus Schuld, Wut und Sühne ist in „Gefährliche Beichte“ („True Confessions“, 1981, 24.9.) am Werk. De Niro gibt einen Priester in Los Angeles, der nach einem Mordfall bei seinen finanziellen Dubiositäten entdeckt wird. De Niro und sein Kontrapart Robert Duvall spielen beide sehr, sehr leise.

Ein bißchen mehr von den Mean Streets, von den Heimspielen mit Scorsese und Keitel, hätten der Reihe nicht geschadet. Daß man De Niro mitunter einen Homo Scorsesian nannte, hängt damit zusammen, daß beide der Neighborhood treu geblieben sind, dem Hinterhof der Nation, und zwar nicht nur räumlich (De Niro hat ein ultra-schickes Restaurant in Tribeca), sondern vor allem beim Filmemachen. Homo Scorsesian meint dabei auch so was wie „Real Mensch“. Mariam De Niroumand