Aussichtslos, aber nicht ernst

Italiens Wirtschaft dümpelt weiter im Minus, aber die Verantwortlichen sind nicht beunruhigt / Durchwursteln auch nach der „Wende“?  ■ Aus Rom Werner Raith

„Die Daten“, wundert sich selbst die Industriellen-Gazette Il sole 24 ore, „würden wohl die Wirtschafts- und Finanzführung jedes anderen Landes zum Haareraufen bewegen, doch bei uns herrscht eher eitel Kopfnicken“: soeben, Mitte August, hatte das Wirtschaftsforschungsinstitut ISTAT die neuesten Daten der „Azienda Italia“, der Gesamtökonomie des Landes, herausgegeben, und die klingen zumindest für den Laien eher schaurig: Um 26 Prozent ist die Produktion von Automobilen im Juni gegenüber dem Stand von Juni 1992 zurückgegangen, um 15 Prozent die von Präzisionsinstrumenten (wozu auch Teile des High-Tech-Sektors gehören), um 14 Prozent die von Kunstfasern, um neun Prozent die von Kleidung und Schuhen, traditionell eine der wichtigsten Branchen Italiens. Durchschnittlich aufs Ganze gerechnet, so ISTAT, ist die Produktion um 4,4 Prozent gesunken. Ausnahmen sind lediglich im Sektor von Elektrogeräten und -maschinen (plus sieben Prozent) und bei Energieherstellung und Gas (plus zwei Prozent) festzustellen.

Wenige Tage später die neuen Katastrophenmeldungen: sogar an ferragosto, den Tagen des Massenexodus ans Meer und in die Berge, tradtioneller Höhepunkt der Urlauber- und Touristenschwemme, blieb diesmal ein ansehnlicher Bettenberg frei, mußten die Bademeister große Teile der Liegestuhlbatterien unbenutzt wieder einpacken, rauften sich Strandbarbesitzer und Schmuckverkäufer die Haare. Ein Einbruch um mehr als fünfzehn Prozent im Landesdurchschnitt, in einzelnen Gegenden und Großstädten gar bis zu 40 Prozent. „Ausländer fast keine und Italiener nur von der Sorte, die sogar ihr Trinkwasser von zu Hause mitbringen“, murrt ein Hoteliersverbandspräsident an der Tyrrhenischen Küste.

Dennoch: die Präsidenten des Industriellenverbands und der Handelsvereinigungen, ja sogar die Gewerkschaften – die derzeit ansonsten einen neuen Beschäftigungstiefstand mit mehr als dreieinhalb Millionen Arbeitslosen prognostizieren – geben sich betont lässig angesichts der neuesten Statistiken: Im Grunde, so ein Industriellensprecher, habe sich derzeit keine Verschärfung der Flaute eingestellt, der Rückgang sei seit Monaten nahezu gleichgeblieben – „Zeichen, daß sich die Wirtschaft eben auf relativ niedrigem Produktionsniveau stabilisiert hat“. Der Rückgang des Tourismus – der noch im Vorjahr, obwohl schon seit fünf Jahren im Rückgang, stolze 100 Milliarden DM in die Kassen geschwemmt hatte – wird nun als „Gesundschrumpfen“ interpretiert, die Auto-Krise als „Teil einer weltweiten Sättigung“ geradezu fatalistisch hingenommen.

Statt dessen sehen die Auguren an manchen Stellen gar wieder rosarot, und das in gar nicht weiter Entfernung: daß einige notorische Währungsspekulanten in London und New York zum Kauf der matten Lira raten, wird in den Zeitungen bereits so oft wiederholt, daß es regelrecht auffällt, wenn diese Meldung an einem Tag zufällig fehlt. Und daß die Einnahmen aus der Einkommenssteuer 1992 – der Zahlungstermin war im Juli – erstmals Zeichen geringerer Steuerverkürzungen und -fluchten als in den letzten Jahrzehnten zeigen, werten speziell Regierungsmitglieder als „einen Erfolg auch der moralischen Umorientierung in unserem Land“. Staatsschuldscheine, auch mit geringer Verzinsung, gingen vorige Woche weg wie warme Semmeln, geradezu ein Nachkriegsrekord ist nach Angaben des Schatzministeriums zu verzeichnen – was angeblich neues Vertrauen in die Lira beweist.

Nüchternere Beobachter sehen darin allerings eher eine Flucht aus dem Sparbuch – dieses wurde voriges Jahr in einer Nacht- und Nebelaktion von Staat arg gerupft, die Banken mußten acht Prozent der Guthaben an den Fiskus abführen, und nun glaubt keiner mehr der Versicherung, das sei ein einmaliger Vorgang gewesen.

Wahrscheinlich ist der Frohmut in Italien wieder einmal einer Eigenschaft zu danken, die die Südländer immer mal wieder gezeigt hatten, wenn es brenzlig wird: Die Einstellung „Es hätte schlimmer kommen können, und schließlich geht's anderen noch schlechter als uns.“ Der Blick aufs inflationsgeschüttelte Deutschland, das man erstmals seit Kriegsende unterboten hat, auf den ungeliebten Nachbarn und wirtschaftlichen Hauptkonkurrenten Frankreich mit seinen völlig unvermittelt hereingebrochenen Stürmen über dem so stolz hochgehaltenen Franc, die Unfähigkeit selbst des bewunderten Amerika, die Wirtschaft wieder anzukurbeln – all das bestärkt die Meinung, man sei auch in der Krise in bester Gesellschaft. Und was sind schon vier Prozent Minus bei der Produktion – „wir hatten schon viel schlimmere Zeiten, mit Einbrüchen bis zu 30, 40 Prozent“, macht sich der Industriesprecher Mut. Doch Il sole 24 ore hat eine andere, bösere Vorahnung: „Offenbar hat die Krise noch immer nicht die Ausmaße erreicht, daß tatsächlich ein fundamentales Umdenken auch auf wirtschaftlichem Gebiet geschieht, nachdem es in der Politik immerhin teilweise klappt, ein neues Denken einzuführen.“ Il manifesto bringt die Sache auf einen anderen, rüderen Punkt: „Das Prinzip Durchwursteln hat in unserem Land offenbar noch lange nicht ausgedient. Es geht weiter wie gehabt.“