Zwangsurlaub an fernen Gestaden

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen sitzen in den USA 4.500 deutsche Touristen fest, weil ihr Reiseunternehmen die Rückflüge nicht bezahlen konnte. Die Urlauber zahlen den Preis für den harten Konkurrenzkampf in der Reisebranche.

Innerhalb weniger Wochen sitzen deutsche Touristen zum zweiten Mal an ihren Reiseorten fest. Nach der Pleite des Frankfurter Unternehmens MP Travel Line, hat jetzt die amerikanische Fluggesellschaft American Trans Air (ATA) die Zusammenarbeit mit dem Hamburger Reiseunternehmen Marlo aufgekündigt. Der Grund: „Nach 19 Flügen ohne Bezahlung haben wir uns entschlossen, die übrigen Flüge abzusagen“, teilte Mary Cochran, Sprecherin der ATA mit.

Marlo Reisen Vermittlung GmbH kann derzeit Rechnungen der ATA in „siebenstelliger Höhe“ nicht bezahlen. Das bestätigt Verkaufsleiter Uwe Martens. Dennoch will das Unternehmen Kontakt mit ATA aufnehmen und die Rückkehr von 3.850 Urlaubern erreichen, die noch in Florida und Kalifornien auf ihren Flug warten. „Dieser Kontakt wird mehr den Charakter eines Appells tragen“, sagt Martens.

Am Donnerstag wurde Marlo von einer Stornierungswelle überrollt. „Statt der bisher 600 Buchungen täglich gehen nur noch Stornos ein.“ Allein am Dienstag habe das einen Umsatzausfall von 800.000 Mark bedeutet. Verkaufsleiter Uwe Martens schließt einen Konkurs oder Vergeich des Unternehmens mit sieben Mitarbeitern und einem Umsatz von 35 Millionen Mark im ersten Halbjahr 1993 nicht mehr aus.

Daß der Konkurs des Reiseveranstalters MP Travel Line die Ursache für die Schwierigkeiten von Marlo ist, weist Uwe Martens zurück. „Wir haben zwar vor sechs Wochen Urlauber von MP Travel zurückgeholt und daraus offene Forderungen in Höhe von 550.000 Mark.“ Doch das sei im Grunde ein Kleckerbetrag. Er führt das Fiasko vielmehr auf den Konkurrenzkampf der Reiseveranstalter zurück. „Wir befinden uns in einem mörderischen Preiskrieg.“

Nach Aussage von Martens, sollen die kleinen Firmen „platt gemacht werden“. Denn: „Die Linienflüge werden derzeit immer billiger und wir Charteranbieter müssen darunter bleiben, um konkurrenzfähig zu sein.“ Bei diesem Kampf komme es hauptsächlich auf den Goodwill der Fluggesellschaften an. „ATA hat bis jetzt mitgezogen, ist nun aber an der untersten Gewinnzone angelangt.“ Der Reisekrieg fordert seinen Preis. Die Pleitewelle bei Reisebüros hat bereits im ersten Quartal dieses Jahres einen vorläufigen Höhepunkt erreicht: 54 Betriebsleiter wurden beim Konkursrichter vorstellig – das sind 35 Prozent mehr als in anderen Branchen.

Doch Marlo Reisen schien es vor wenigen Monaten noch gut zu gehen. Bei ATA wurden gleich 50.000 Plätze für Amerika-Flüge gebucht. Eine kleine Sensation in der Branche. Denn einer der größten Amerika-Veranstalter, DER, buchte für 1993 nur knapp 30.000 Plätze. Die Vermutung, daß sich Marlo verspekuliert hat, liegt nahe. „Wir sind in den Sog um den Konkurs von MP Travel geraten", begründet Uwe Martens dagegen die Schwierigkeiten. „Danach haben die Medien systematisch vor kleinen Reiseveranstaltern gewarnt und die Buchungen gingen spürbar zurück.“

Den Urlaubern in Amerika wird das erst einmal egal sein. Sie wollen auf dem schnellsten Weg zurück nach Deutschland. Das Auswärtige Amt in Bonn hat, wie eine Sprecherin sagte, jetzt schon Übung in der Versorgung von gestrandeten Touristen. „Unsere Konsulatsbeamten versuchen, billige Flüge und Hotels zu finden, helfen mit Geld aus“, heißt es. Von 300 Urlaubern aus Los Angeles konnten bereits 200 zurückkehren.

Hilfe kommt auch vom Deutschen Reisebüro Verband (DRV). Auch wenn die Firma Marlo dort nicht Mitglied war. Die Branche will ihren Ruf retten und versucht, den Kopf aus der selbstgedrehten Schlinge zu ziehen. DRV-Justitiar Ulrich Warncke glaubt, daß die amerikanische Fluggesellschaft nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes auf jeden Fall zum Rücktransport der Reisenden verpflichtet sei. „Ich habe dem ATA- Anwalt das Urteil gefaxt und der bestätigte mir daraufhin, daß die Deutschen zurückgeflogen werden.“ Eine Neuauflage von MP Travel, wo die Urlauber auf eigene Kosten zurückfliegen mußten, befürchte der DRV deshalb nicht. Sicher ist dies aber noch nicht.

Auch Marlo-Verkaufsleiter Uwe Martens ist optimistisch, was den Rücktransport der Urlauber betrifft. Er erwartet für heute nachmittag um 16 Uhr zwei Maschinen mit insgesamt 578 Passagieren, die in Düsseldorf und Frankfurt landen sollen. „Wenn ATA jetzt nicht mitzieht, kann die Gesellschaft den deutschen Markt für die nächsten Jahre abschreiben", droht er.

Für das Hamburger Reiseunternehmen sieht es allerdings nicht gut aus. Und auch für die Reisesaison 1994 gibt Uwe Martens eine eher düstere Prognose ab: „Im nächsten Jahr wird es ganz andere Preise geben. Weil wir kleineren Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden, werden die Billigangebote schnell wieder verschwinden." Thorsten Schubert, Hamburg