Europas Gewerkschaften in der Bredouille

■ Kassandrarufe wider das kosmopolitische Kapital

Gleich werden im Europa von Maastricht im Höchstfall die Geldscheine sein. Die Menschen aber ziehen auf keinen Fall als Wohngemeinschaftsgenossen im europäischen Haus ein, und mit den Jahren wird ihre Ungleichheit noch weiter wachsen. Zu diesem Schluß kommen Birgit Mahnkopf und Elmar Altvater in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Gewerkschaften vor der europäischen Herausforderung – Tarifpolitik nach Mauer und Maastricht“.

Die Gewerkschaften müßten angesichts der ausschließlich auf monetäre Stabilität hin orientierten EG-Politik von ihrer bisherigen Besitzstandswahrungsstrategie abrücken und sich sozial- und umweltpolitisch einmischen. Und auch die Autonomie der Zentralbank dürfe keine heilige Kuh bleiben, wenn die europäische Währungsunion nicht letztendlich zu einem gefährlichen Sprengstoffgemisch aus nationalistischen und regionalistischen Tendenzen werden soll.

Die Kassandrarufe der beiden Autoren, die in kapitalismuskritischer Tradition stehen, werden wohl nur ein recht kleines Publikum erreichen: Das Buch will durchgearbeitet sein. Und wer konkrete Handlungsmöglichkeiten sucht, wird ebenfalls enttäuscht sein – statt dessen Analyse und Kritik. Die aber sind dafür sehr scharf.

Altvater/Mahnkopf zeichnen nach, daß noch vor wenigen Jahren auch die meisten Gewerkschafter an die Verheißungen des Cecchini- Berichts glaubten: Durch ein Zusammenrücken der EG werde ein enormer Wachstumsschub ausgelöst, der tarifpolitische Spielraum der Arbeitnehmervertreter erweitere sich. Inzwischen aber wird immer deutlicher, daß der EG-Binnenmarkt lediglich eine Anpassung der politischen Institutionen an die Internationalisierung des Kapitals ist – daran dürften auch die jüngsten Währungsturbulenzen und der Urlaub des EWS nichts ändern. Und das internationale Kapital stellt auch die Rahmenbedingungen der Arbeitsverhältnisse. Die „Hauptperson im Spiel“ ist mittlerweile der kosmopolitische Geldvermögensbesitzer.

Die Finanzmärkte kommandieren zunehmend die Güter- und Arbeitsmärkte, so das Autorenteam. Während aber die reale Akkumulation noch durch nationalstaatliche Steuer- und Finanzpolitik zu beeinflussen sei, entziehe sich der internationale Kapitalmarkt weitgehend dem staatlichen und damit politischen Eingriff. Die Gewerkschaften sähen sich zunehmend dem Sachzwang der Zinssätze ausgesetzt. Löhne, Arbeitsbedingungen und Umweltschutzauflagen hingegen sollen zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit variabel sein. Von Tarifautonomie und einer solidarischen Arbeismarktpolitik könne in Anbetracht dieser Zwangsjacke kaum noch die Rede sein. Mahnkopf und Altvater sagen voraus, daß die gut ausgebildeten Arbeitskräfte individuell hochdotierte Verträge aushandeln können.

Die Jobsuchenden in der Massenproduktion oder im Dienstleistungsbereich aber müssen sich zunehmend auf Lohndumping und prekäre Arbeitsverhältnisse einlassen. Die Gewerkschaften stehen hier vor dem unlösbaren Dilemma: einerseits müssen sie einer Tariföffnung nach unten entgegenwirken – andererseits können sie die Arbeitsimmigranten, insbesondere aus Osteuropa, nicht einfach mit protektionistischen Maßnahmen vor die Tür setzen. In jedem Fall ist absehbar, daß die Einführung des Ecu die sozial- und lohnpolitischen Differenzen innerhalb Europas weiter verschärfen wird, schreiben die Autoren.

In Deutschland trägt die durch die Einheit schwierige Wirtschaftslage ebenfalls zu einer Aufweichung der bisher starken Gewerkschaftsposition bei. Fatal wirkt sich nach Ansicht von Altvater und Mahnkopf dabei die Tendenz aus, daß immer mehr Arbeitnehmervertreter sich mit den Geschäftsführungen an einen Tisch setzen und die Tarifverträge außer Kraft setzen. Hierdurch nimmt der Druck auf die Gewerkschaften auch in Westdeutschland zu. Daß der Angriff auf die Flächentarifverträge aber nicht ursächlich mit der zusammenbrechenden Industrie in der Ex-DDR zusammenhängt, wird an den Vorschlägen der 1987 eingesetzten Deregulierungskommission deutlich. Lohnminderung im „Notfall“ und der freiwillige Verzicht von Schwerbeschädigten auf besonderen Kündigungsschutz wurden dort u.a. gefordert.

Die westeuropäischen Gewerkschaften sind in der Bredouille. Sie müssen fortan in einem viel größeren Wirtschaftsraum agieren, der aber eine einheitliche Lohnpolitik nicht mehr zuläßt. Weil Flächen- und Branchenverträge tendenziell immer schwerer durchsetzbar sein werden, wird Tarifpolitik künftig wieder enger an das Schicksal der jeweiligen Firma angekoppelt werden. Den innerbetrieblichen Arbeitnehmervertretern wird deshalb künftig eine weitaus größere Bedeutung zukommen als bisher, prognostizieren Altvater und Mahnkopf.

Besonders bei multinationalen Konzernen müssen sie dafür sorgen, daß nicht verschiedene Betriebsteile gegeneinander ausgespielt werden. Die heutige Politik der nationalen Gewerkschaften kann nicht nur nicht einfach im größeren Maßstab fortgesetzt werden; sie wird im Gegenteil sogar mit den neuen Strukturen der EG- Arbeitsbeziehungen häufig „strukturell inkompatibel“ sein.

Birgit Mahnkopf und Elmar Altvater zeichnen die historische Entwicklung gewerkschaftlicher Orientierungen und Werte in der Nachkriegszeit nach, die jetzt durch den EG-Binnenmarkt und die deutsche Einheit eine grundsätzliche Wendung erfährt. Deutlich wird dabei, daß die Gewerkschaften immer eine spiegelbildliche Interpretation der wirtschaftlichen Perspektiven hatten wie die Arbeitgeberseite.

Die jetzt ausschließlich auf eine monetäre Einheit hin ausgerichtete EG-Politik aber muß die Arbeitnehmervertreter dazu veranlassen, nicht nur Arbeits- und Umweltbedingungen zum Thema zu machen, sondern auch die Koalition mit sozialen und kirchlichen Bewegungen zu suchen, fordern Altvater und Mahnkopf. Die Autoren lassen nicht nur offen, für wie wahrscheinlich sie eine solche Neuorientierung halten. Vor allem wird nicht klar, wie die Interessenskollisionen von Umweltschutz, Arbeitsplatzsicherung und Arbeitslosenpolitik innerhalb solch neuer Strukturen aufgelöst werden könnte. Annette Jensen

Elmar Altvater/Birgit Mahnkopf: „Gewerkschaften vor der europäischen Herausforderung – Tarifpolitik nach Mauer und Maastricht“. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 1993, 300 Seiten, DM 38.-