Hornissenschwarm auf Rädern

In Berlin schnurren Solarmobilisten mit ihren heißen Kisten für eine andere Verkehrskultur / Probleme sind Preis und geringe Reichweite  ■ Von Manfred Kriener

Berlin (taz) – Der Superstar ist violett. Er hat todschicke Flügeltüren, die nach oben hochklappen. Er ist rund und gedrungen wie ein Kinderarsch: Tropfenform, sagt der Fachmann. In jedem Fall ist er ein futuristischer Softie. Seine Daten: Dreisitzer, 530 Kilo schwer, 120 km/h Spitze, 21 KW-Asynchronmaschine, rollwiderstandsoptimierte Reifen selbstredend, Airbag, Seitenaufprallschutz, von null auf 50 in sieben Sekunden. Und: CW-Wert unter 0,2, sagen die Entwickler und verdrehen die Augen, „davon kann die Autoindustrie nur träumen“. Als ausgesprochen scharfe Kiste hat er auch den passenden Namen: Chili.

Er dürfte mit fünf Millionen Mark eines der teuersten Autos des Planeten sein. In Wahrheit hat er nur 500.000 Mark gekostet, weil die Studenten der TH Darmstadt das lila Supermobil in 45.000 Arbeitsstunden ohne Bezahlung konstruiert haben. So sind mehrere Diplomarbeiten von Maschinenbauingenieuren und Elektrotechnikern nebst ungezählten 16-Stunden-Tagen in das Auto gesteckt worden. Herausgekommen ist ein alltagstaugliches High-Tech-Elektroauto, von dem alle schwärmen.

Der Chili ist die Geschichte eines Wunders. Sie zeigt, daß acht propere Studenten in zwei Jahren mehr hinkriegen als alle Autokonzerne mit ihren Piächs, López' und Gäbs zusammen. Vergangene Woche durften Mercedes-Ingenieure den „Chili“ probefahren. „Die waren total begeistert.“ Trotzdem wird das Auto womöglich ein Unikat bleiben. Ein Konzern, der das Modell zum geschätzten Stückpreis von 60.000 Mark in Kleinserie bauen würde, hat sich nicht gefunden. „Die sind alle so verknöchert, so stinkkonservativ, da geht nichts“, resigniert Miterbauer und TH-Student Andreas Ebner.

Jetzt steht der Chili als Shooting-Star auf der vierten internationalen Solar Mobil in Berlin und wird dort vermutlich mit Preisen überschüttet. 58 Autos, Nutzfahrzeuge und Mofas nehmen bis Sonntag an der Solar-Rallye teil, bei der es nicht um quietschende Reifen und Zehntelsekunden geht, sondern um Energieverbrauch, Reichweite, Praxistauglichkeit und Umweltverträglichkeit der teilweise selbstentwickelten Mobile.

Vor acht Jahren, am 25. Juni 1985, hatte die Auto-Revolution in der Schweiz begonnen. Damals versammelte sich die eigenwillige Karawane mit ihren seltsamen Kisten zum ersten Mal zur „Tour de Sol“. Seitdem ziehen die Helden mit ihren mal auffällig schlanken, mal ungewöhnlich kurzen Autos von Rundfahrt zu Rundfahrt. Seitdem wird geworben für die Ablösung des Explosionsmotors durch das sanfte Schnurren der sparsamen E-Flitzer.

Und für die Sonnenstrategie. Die neuen Automobilisten wollen ihren Strom nicht einfach aus der Steckdose holen, sondern von der Solartankstelle. Verbraucht werden soll nur diejenige Menge Strom, die zuvor über Photovoltaik-Anlagen ins Netz eingespeist worden ist. Auf lange Sicht ist dies indes ein frommer Wunsch, denn der Käufer eines Elektroautos kann von niemandem gezwungen werden, auf seinem Hausdach die Sonne anzuzapfen oder Solartankstellen anzufahren. Er kann den Strom auch einfach so aus der Steckdose holen.

Auch dann wären die Elektroautos den herkömlichen Benzinstinkern unter Umweltaspekten weit überlegen. Die meisten der in Berlin startenden Elektroautos verbrauchen auf 100 Kilometer ein Energieäquivalent an Strom von unter einem Liter Benzin. Zudem schnurren sie so leise wie ein Hornissenschwarm, sie sind aus langlebigen Leichtbauteilen konstruiert und so klein und wendig, daß sie nur wenig Parkfläche brauchen.

Wichtigste Nachteile: Reichweite, Preis und Sicherheit. Die vor allem in der Schweiz und in Dänemark in Kleinserie gebauten Minis kosten derzeit runde 20.000 Mark. Weil sie so teuer sind, kaufen sie nur wenige. Weil sie nur wenige kaufen, bleiben die Preise hoch. Auch die Reichweite der meisten Modelle ist nach wie vor gering. Der Chili bringt es nur auf knapp über 100 Kilometer. So bleiben viele Elektroautos als fahrende Einkaufstaschen auf den Nahverkehr beschränkt. Zudem stellt sich durch das gleichzeitige Auftreten der üblichen gepanzerten PS- Ungetüme die Frage der Sicherheit.

Bei der Berliner Rallye sind die Autopioniere allerdings unter sich. Sie werben mit missionarischem Eifer und vielen guten Argumenten für eine „neue Verkehrs- und Energiekultur“. Schräges und Schrilles hat ebenso seinen Platz: Ein Berliner Bildhauer hat ein „solarunterstützes Recycling-Tretauto“ nur aus Schrotteilen zusammengebaut. Zehn alte Fahrräder, vier alte Fässer, ein altes Moped und alles gut miteinander verknotet.

Passend zur 4. Solar Mobil erscheint ein neuer Aufsatz des Worldwatch-Instituts. Allein im Großraum Los Angeles, schreibt Christopher Flavin, verursacht die Luftverschmutzung durch Autos jährliche Gesundheitskosten von neun Milliarden Dollar. „Die Verkehrsrevolution ist bereits am Horizont auszumachen.“