Riesige Giftgaswolke überm Ruhrgebiet

■ Nach Großbrand in Schwelm wahrscheinlich Dioxin über der Kreisstadt und über Wuppertal / Feuerwehr: PVC, Lösemittel, Phenolharze und Benzin verbrannt

Berlin (taz) – Bei einem Großbrand in einer 6.000 Quadratmeter großen mehrteiligen Lagerhalle in Schwelm im südlichen Ruhrgebiet ist gestern eine vermutlich dioxinhaltige dichte schwarze Giftwolke über die Kreisstadt und das benachbarte Wuppertal gezogen. Das Lagezentrum des nordrhein- westfälischen Innenministeriums warnte Zehntausende Menschen in Schwelm und Wuppertal-Ost, wegen giftiger Chlordämpfe Fenster und Türen geschlossen zu halten und nicht ins Freie zu gehen. Nach Angaben der Feuerwehr verbrannten in den Lagerhallen der Spedition Rhenus PVC-Verbindungen, Polyurethan, Lösemittel, Phenolharze und Benzin. Es entstand Millionenschaden.

Der Brand war am Sonntag morgen kurz vor 4 Uhr bemerkt worden. Ein Großaufgebot von rund 150 Feuerwehrleuten konnte das Feuer aber erst nach etlichen Stunden unter Kontrolle bringen. Feuerwehrleute und mindestens zwei Anwohnerinnen mußten sich wegen Rauchvergiftung behandeln lassen.

Auch bei Redaktionsschluß flammten nach Behördenangaben immer noch größere Brandnester auf. „Die Hallen sind teilweise eingestürzt, deshalb sind die Flammen schwer zu bekämpfen“, so ein Feuerwehrsprecher. Offenbar hätten notwendige Brandmauern gefehlt.

Während offiziell die Warnhinweise in der Kreisstadt Schwelm (über 30.000 Einwohner) und im benachbarten Wuppertal (rund 400.000 Einwohner) nach 10 Stunden gestern mittag wieder aufgehoben wurden, empfahl der Pressesprecher der Kreispolizei, Peter Marten, weiter im Bereich der Wolke Fenster und Türen geschlossen zu halten und sich möglichst nicht dort aufzuhalten. „Wir warnen davor, die Verbrennungsrückstände anzufassen“, so Marten. „Auch wir denken an eine Dioxingefahr.“ Chemieexperte Roland Fendler vom Öko-Institut Darmstadt bestätigte die Dioxingefahr. Ein großes Risiko seien auch die verbrannten Farben und Lösemittel: „Es können alle möglichen giftigen und krebserregenden aromatischen Verbindungen entstehen.“

Giftwerte waren bei den zuständigen Landesbehörden bis Redaktionsschluß nicht in Erfahrung zu bringen. Ein Sofortmeßwagen des zuständigen Landesamtes für Immissionsschutz in Essen verließ das Amt erst gegen 12 Uhr – 8 Stunden nach Bekanntwerden des Brandes. Vorher sei man nicht angefordert worden, hieß es im Amt. Die Anforderung muß das Gewerbeaufsichtsamt in Hagen aussprechen. Noch vor der Ankunft des Meßwagens hatten die Behörden zumindest in Wuppertal aber schon Entwarnung gegeben, weil sich die gemessenen giftigen Chlordämpfe zerstreut hätten.

Die betroffene Großspedition Rhenus AG ist eine Tochter der Firma Stinnes und gehört zum Düsseldorfer Veba-Konzern. Bei Rhenus in Dortmund nahm niemand das Telefon ab. Hermann-Josef Tenhagen