Riesel-Rotation

■ Der Kölner Popkanal Viva will noch in diesem Jahr starten

„Unsere Arbeit ist getan. Wir haben Viva in einem Jahr von einem normalen Spartenkanal zu einem Ereignis hochgeredet“, zitierte die Kölner Boulevardzeitung Express Dieter Gorny, den Geschäftsführer der Popkomm GmbH, die seit fünf Jahren die mittlerweile zweitgrößte Messe der Welt für Popmusik veranstaltet. In der Tat haben der redselige Gorny und die anderen Gesellschafter der Viva Medien GmbH im vergangenen Jahr alles getan, um Viva, den ersten deutschen Musikkanal, im Gespräch zu halten.

Deshalb gehörte die Viva-Pressekonferenz, die in der letzten Woche auf der Popkomm stattfand, auch wohl zu den bestbesuchten und meistdiskutierten Ereignissen der Messe. Über 500 Zuhörer drängten sich in dem vollkommen überfüllten Konferenzsaal, um nach einem Jahr gerüchteschwangerer Vorbereitungszeit nun endlich zu erfahren, wie Viva aussehen soll. Auch nicht anders als MTV – bloß mit etwas mehr deutscher Musik, so erfuhren sie von Viva- Geschäftsführer Michael Oplesch. Ansonsten war wenig Neues über das immer noch reichlich nebulöse Projekt zu erfahren.

Sicher ist darum im Augenblick nur eins: Vier der fünf marktbeherrschenden Musikkonzerne in Deutschland sind zu je einem Viertel an dem Fernsehsender beteiligt. Sony, Thorn Emi, PolyGram International und die Warner Music Group halten jeweils 24,75 Prozent an dem Sender und wollen auch die Finanzierung (80 bis 100 Millionen Mark für die ersten drei Jahre) stellen. Ein Prozent teilen sich Video-Produktionsfirmen wie „DoRo“ oder „Me, Myself & Eye“. Versandhausmann Frank Otto, der Chef des kommerziellen Hamburger Hörfunksenders OK- Radio, über dessen Beteiligung in den vergangenen Monaten oft und gerne spekuliert wurde, ist nicht dabei, möchte sich aber angeblich später beteiligen.

Wenn die nordrhein-westfälische Landesmedienanstalt – wie von Branchenkennern erwartet – Viva am kommenden Donnerstag eine Sendelizenz erteilt, soll mit dem Aufbau des Senders begonnen werden. Viva-Geschäftsführer Michael Oplesch wollte zwar den 2. November 1993, der als Starttermin für den neuen Sender im Gespräch war, nicht bestätigen. Es soll aber auf jeden Fall „noch in diesem Jahr“ losgehen – die Einrichtung eines Kommerzsenders in gut vier Monaten wäre hierzulande ein neuer Rekord. Bisher hat der Popkanal Viva aber weder Studios noch Personal; laut Michael Oplesch wurde in der vergangenen Woche mit den Castings für Moderatoren begonnen.

Der Standort Köln scheint inzwischen für Viva nicht mehr sicher zu sein: Plötzlich heißt es nur noch vage, daß Viva „irgendwo in Nordrhein-Westfalen“ gemacht werden würde – wohl weil im bevölkerungsreichsten Bundesland 20 Prozent aller Kabelhaushalte, also 7,5 Millionen potentieller Zuschauer, erreicht werden können. Auch Wolfgang Clement, der Leiter der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, ließ bei der Pressekonferenz keinen Zweifel daran, daß der Landesregierung viel an Viva liegt. Nachdem RTL 2 wohl demnächst von Köln nach München ziehen wird, ist Viva ein wichtiges Element der NRW-Standortpolitik, der es in den vergangenen zehn Jahren schon gelang, die Kommerzsender RTL und Viva nach Köln zu holen. 70 Mitarbeiter sollen nun Viva aufbauen, später sollen es 280 Festangestellte sein.

Das 24-Stunden-Programm soll zum größten Teil aus etwas bestehen, was Michael Oplesch die „Bits & Pieces Rotationsform“ nennt. Im Klartext dürfte damit wohl Nonstopberieselung mit Videoclips und redaktionellen Kurzbeiträgen gemeint sein. Woher die vielen Videos deutscher Bands kommen sollen, mit denen man 40 Prozent des Programms bestreiten will, ist allerdings noch unklar. Bei Rough Trade, dem größten deutschen Label, das auch viele deutsche Bands unter Vertrag hat, gibt es zur Zeit fünf aktuelle Videos – alle sind auch schon beim Viva- Konkurrenten MTV gelaufen. Im Gespräch mit der taz machte Viva- Chef Oplesch folgende Rechnung auf: 1992 hätten Plattenfirmen 280 Videos von deutschen Bands gemacht. Falls die Firmen wegen Viva ihren Videoausstoß um 50 Prozent steigerten, dann lägen bald täglich anderthalb neue Videos vor. Außerdem wolle Viva auch aufgezeichnete Konzerte deutscher Bands zeigen.

Nicht nur die Viva-Gründer lassen wenig Zweifel daran, daß der Hauptgrund für die Einführung eines deutschen MTVs mangelnde Präsentationsflächen für deutsche Popmusik sind. Da die öffentlich- rechtlichen und kommerziellen Sender fast alle Popmusiksendungen aus ihren Programmen genommen haben und auch im Radio immer weniger deutsche Musik läuft, ist es schwierig geworden, deutsche Bands überhaupt noch in den Medien zu lancieren.

Marketing-Instrument und Nutzoberfläche

Berechtigt ist daher die Befürchtung, daß Viva zu einem reinen Marketing-Instrument der beteiligten Musikkonzerne werden könnte. Ausdrücklich weist Michael Oplesch darauf hin, daß das Personal für den Sender von den beteiligten Plattenfirmen quasi abgeordnet werden solle: „Die Gesellschafter können Viva personell bestreiten.“

Doch natürlich sind die angepeilten Zuschauer, „hippe, frische, junge Trendsetter“ (Oplesch), auch die ideale Werbezielgruppe. Mit „Pop als „werbefreundlicher Nutzoberfläche“ (Gorny) will Viva dem welt- und europaweit etablierten MTV an den Kuchen. Deutschland ist der wichtigste Werbemarkt in Europa, hier verdient MTV laut Spiegel 40 Millionen pro Jahr. Und so ist es kein Wunder, daß MTV seinen Kunden ab 1994 ein „deutsches Programmfenster“ anbieten will.

Auch die an der Viva Medien GmbH beteiligten Video-Produktionsfirmen haben ein sehr eigenes Interesse an einem TV-Kanal mit viel deutscher Musik: Die Videos werden sie nämlich selbst produzieren. Die beteiligte Videofirma „Me, Myself & Eye“ zum Beispiel, deren Geschäftsführer übrigens „zufällig“ ebenfalls Oplesch ist, drehte auf der Popkomm schon fleißig Material für Viva. Tilman Baumgärtel