■ Die Wohnung muß unverletzlich bleiben! – Eine Replik auf Werner Raiths Beitrag zum „großen Lauschangriff“
: Blauäugige Hoffnung auf Kontrolle

Kaum jemand in Deutschland oder Italien kann organisiertes Verbrechen, Bandenkriminalität oder die Mafia in ihren Strukturen, Verzweigungen und Unterorganisationen besser beurteilen als Werner Raith. Ihm ist in seiner Analyse über Bandenkriminalität, Wirtschaftsverbrechen sowie über Beteiligung von Bossen, Administratoren und Politikern in der Organisierten Kriminalität kaum zu widersprechen. Mit seinen Vorstellungen, der „große Lauschangriff“, wenn er denn komme, müsse kontrollierbar gemacht werden, liegt Werner Raith dann aber genau auf der von ihm selbst kritisierten Linie derer, die das Pferd vom Schwanz aufzäumen.

Gerade die Mittel, um den Sicherheitsapparat wirksam zu kontrollieren, wie Werner Raith fordert, fehlen in Deutschland. Solange diese Sicherungen fehlen, erübrigt sich eine Diskussion um Für oder Wider zum großen Lauschangriff. Es darf mit gutem Grund bezweifelt werden, daß wirksame Mittel zur Kontrolle der Sicherheitsbehörden mit der Einführung des großen Lauschangriffs geschaffen werden könnten. Gerade in der Diskussion um den Einsatz der Verfassungsschutzbehörden und der Geheimdienste zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK) wird deutlich, wie wenig der Wille zur wirksamen Kontrolle vorhanden ist. Nicht erst seit heute ist die Unmöglichkeit der Kontrolle dieser Behörden und Dienste bekannt. Sie werden sich auch nicht im Zusammenhang mit dem großen Lauschangriff kontrollieren lassen. Das kann, ohne Prophetie betreiben zu wollen, aus der Praxis und mit gutem Gewissen gesagt werden.

Selbst wenn Verfassungsschutz und Geheimdienste zur Bekämpfung der OK außen vor bleiben (was sie in der Realität heute bereits nicht mehr sind), der große Lauschangriff nur in Händen der Polizei bliebe, ist auch da eine wirksame Kontrolle heute schon nicht mehr gegeben.

Die klassischen Kontrollorgane, die Staatsanwaltschaften, die Gerichte beklagen sich zum Teil heute schon, daß ihnen der Polizeiapparat immer mehr entgleitet und ihnen die Ermittlungsarbeit der Polizei (das ist auch der Lauschangriff) nicht mal mehr als Akte vorgelegt wird.

Die politischen Vorgesetzten der Polizei, Polizeipräsidenten und Innenminister, die sich auch als Kontrollorgane verstehen sollten, präsentieren sich nicht selten als Teil des Polizeiapparates. Von dort dürfte kaum verstärkte Kontrolle zu erwarten sein. Die Vorfälle der jüngsten Vergangenheit (zum Beispiel Bad Kleinen) müssen als warnende Beispiele für die Unkontrollierbarkeit der Sicherheitsbehörden gesehen werden. Eine Kontrollierbarkeit des großen Lauschangriffs darf also bezweifelt werden.

Es blieben dann noch die harten Strafen, die bei Mißbrauch durchgesetzt werden müßten, damit uns weniger bang vor dem großen Lauschangriff sein solle, wie Werner Raith schreibt. Mit Verlaub, die harten Strafen gegen Sicherheitskräfte, die rechtswidrig gehandelt haben, sehe ich weit und breit in unserem Land nicht. Zu glauben, Kontrollierbarkeit plus Strafen bei Verstößen seien mit einer gesetzlichen Grundlage für den Lauschangriff zu erreichen, halte ich für blauäugig.

Wenn das Pferd also von der richtigen Seite aufgezäumt werden soll, dann sind zuerst die Kontrollierbarkeit der Sicherheitsbehörden und die persönliche Verantwortlichkeit bei Mißbrauch zu diskutieren und zu schaffen! Danach kann über die Wirksamkeit des großen Lauschangriffs zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität diskutiert werden. In diese Diskussion gehören dann auch die Fragen nach den Ursachen und den Möglichkeiten für OK und wie diese mit anderen als mit polizeilichen Mitteln verringert werden können.

Werner Raith irrt, wenn er meint, der Lauschangriff sei ein neues und kein traditionelles Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung. Lauschangriffe haben Tradition in Deutschland. Die Erfahrungen aus dieser Tradition mit Lauschangriffen und die Tatsache, daß bereits eifrig gelauscht wurde und wird und jetzt diese Tradition nur noch auf gesetzliche Füße gestellt werden soll, reichen aus, Kontrollierbarkeit aufs höchste anzuzweifeln.

Darum darf es in Deutschland nur dabei bleiben: Art. 13 GG: Die Wohnung ist unverletzlich! Manfred Such

Kriminalhauptkommissar, Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritische PolizistInnen

Der Beitrag von Werner Raith erschien am 19.8.93 an dieser Stelle unter dem Titel „Traditionelle Mittel reichen nicht aus“.