Entschuldigung nach 48 Jahren

■ Japanische Regierungserklärung spricht erstmals von Schuld im Zweiten Weltkrieg

Tokio (taz) – Die japanische Regierung hat sich zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges offiziell zu ihrer Kriegsschuld bekannt. 48 Jahre oder länger haben Millionen asiatische, aber auch holländische, britische und amerikanische Kriegsopfer und ihre Angehörigen auf diese Rede des japanischen Regierungschefs gewartet: „Wichtig ist es, der Welt klarzumachen, daß wir mit unserer Geschichte und unserer Vergangenheit selbstkritisch umgehen“, sagte der japanische Premierminister Morihiro Hosokawa am Montag in seiner ersten Regierungserklärung. „Ich möchte hier meine tiefe Nachdenklichkeit zeigen umd mich für das unerträgliche Trauern und Leiden entschuldigen, welche Japan durch Invasionsakte und Kolonialherrschaft über unzählige Menschen gebracht hat.“

Genau diese simplen Wahrheiten hatten Nippons Regierende bisher aus dem Bewußtsein der Nation verbannen wollen. „Invasion“ und „Kolonialherrschaft“ hatten weder im Gedächtnis von Regierungspolitikern und Ministerien noch in Geschichts- und Schulbüchern ihren Platz. Hosokawa ist der erste auf der Regierungsbank, der Japan wieder seinen wirklichen Platz in der Geschichte zuweist. Dabei hatte die Rede Hosokawas vor dem Tokioter Parlament den Charakter einer verbindlichen Richtlinienerklärung für die neue Regierungspolitik.

Ähnliche Aussagen in den letzten Tagen waren in den asiatischen Nachbarländern auf positive Reaktionen gestoßen. In Seoul, Hongkong und Taipeh meldeten enteignete Angehörige der japanischen Weltkriegsarmee bereits neue Kompensationsforderungen an. In Tokio wird derzeit über zusätzliche Möglichkeiten individueller Kompensationszahlungen verhandelt. Bisher hatte Tokio alle Zahlungen aufgrund der Friedensverträge aus den fünfziger Jahren verweigert.

In seiner ersten Grundsatzrede als Premierminister entwarf Hosokawa eine ungewöhnliche Vision für die Wirtschaftssupermacht: „Sowohl für den Staat als auch für die Menschen in Japan ist es an der Zeit, ohne unnötige Anstrengungen zu leben und eine natürliche Haltung einzunehmen, die auf den Lebensinhalt mehr Wert als bisher legt.“ Statt weiterer wirtschaftlicher Kräfteübungen im Kampf um die Weltmärkte empfiehlt der neue Premier Gelassenheit und Selbstbesinnung. „Dem Ausland gegenüber sollten wir Großmachtdenken vermeiden, im Inneren sollten wir unsere Lebensweise mit mehr Inhalt und Kultur füllen. Wichtiger als alles andere ist dabei die Bewahrung von Umwelt und Natur“, sagte Hosokawa.

Außen- und handelspolitisch enthielt seine Rede dagegen keine weiteren Kurskorrekturen. Um jedoch Japans neue Weltoffenheit nicht nur in bezug auf die Kriegsvergangenheit, sondern allgemein gesellschaftlich zu formulieren, wagte Hosokawa sogar den Ausbruch in die andere Kultur: „In Japan gibt es eine wunderbare Geisteshaltung“, zitierte der Premier in einem bewußten Stilbruch den frühen englischen Japanbewunderer Lafcadio Hearn, „nämlich Einfachheit, Gutartigkeit und Offenheit zu lieben und unnötigen Luxus und Verschwendung zu hassen“. Weder wäre Hosokawas korrupten Vorgängern ein literarisch formuliertes Credo überhaupt in den Kopf gekommen, noch hätten sie einen gebürtigem Ausländer je für sich sprechen lassen. Georg Blume

Kommentar auf Seite 10