Wenn der Hut wankt

■ „Seemannsgarn“: Ein Heft mit lauter Hamburg-Comics

Wer gerade wegen des schicken Wetters in diesem Sommer eine negative Einstellung zu Hamburg entwickeln möchte, sollte sich sagen lassen: Es gibt auch gute Seiten an dieser Stadt. Nur zum Beispiel: In der Medienstadt leben viele Comic-Zeichnerinnen und -Zeichner, die sich mit ihrer Boomtown gerne künstlerisch auseinandersetzen. Das soll kein Vorteil sein? Haben Sie schon mal einen Comic über Düsseldorf gesehen? Oder einen über Erlangen gelesen? Na also.

Eine Menge dieser Comics aus der Elbmetropole sind in dem Sammel-Album Seemannsgarn zusammengestellt. Das im Hamburger Carlsen Verlag erschienene bunte Heft enthält zwei-seitige Strips, die schon im Stadt-Magazin Szene erschienen sind. Für schlamperte Leute bietet die Compilation die Möglichkeit, die verpaßten Comics nachträglich anzuschauen. Ordentliche Menschen können nocheinmal die Ortskenntnis ihrer künstlerischen Lieblinge überprüfen.

Eine weitere Möglichkeit des Vergnügens: Zu zweit auf der Couch zu sitzen - draußen regnet es in Strömen - und die Qualität der Beiträge zu diskutieren. Da wäre zum Beispiel Martin Tom Diecks Geschichte über „Die Beine der Männer“ - eine wunderbare Milieu-Studie eines Hundes über den Sommer am Elbstrand und dessen spezielle Erscheinungen. Ebenfalls gelungen ist Ulf Hartens anarcho-kritisches Hamburg-Bild, das an den frühen Seyfried erinnert: Die Häuser grimassieren und der Kirche wankt der Hut.

Wolfgang Sperzels „Hamburger“-Geschichte benutzt eine anarchistisch-volksbühnenhafte Dramaturgie der Ereignisschleife - sehr amüsant und leider viel zu selten im Comicland zu sehen. Denn im halbprofessionellen Bereich des Comics überwiegen Geschichten, die zwar gut gezeichnet sind, deren Daseinsberechtigung sich meist aber nicht erschließt. Solche Reihen belangloser Bilder produzierten Christian Gorny, Matz Mainka, Rafael Sola Ferrer, Felix Reidenbach und auch die beiden Comic-Profis Heiner Bade und Ully Arndt.

Viel mehr Freude bereiten dagegen die experimentelleren Arbeiten von Birgit Reeck und der Experimentalfilmerin Mariola Brillowska - blutrot und brutal - sowie der semiotisch interessante Comic ohne Worte von Carl Tillessen. Erwähnenswert sind die Arbeiten der Kowalski-Mitarbeiterin Bettina Bayerl, des Ex-Laibachers Ervin Markosek, des Kinderbuchzeichners Jan P. Schniebel sowie der Zeichner, die auch schon in der taz veröffentlichten, wie Konrad Eyferth, Pablo Zweig und Markuß Golschinsky. Alles in allem wetterfestes Comicgut. Der Regen kann bleiben. Greta Eck

Zeichnung:Martin Tom Dieck

Carlsen, 40 Seiten, 29.90 Mark