Eine eher ungeliebte Spitzenkandidatin

■ Seiteneinsteigerin Gisela Wild irritiert Konkurrenz und Parteifreunde     Von Uli Exner

Das Wort war dermaßen „in“. Vor dem Wahlkampf. Seiteneinsteiger. Whow. Die wollten alle haben. SPD, CDU, FDP, ein wenig sogar schon die GAL. Mindestens einen, besser zwei, fünf, zehn. Gegen die Politikverdrossenheit. Neue Gesichter, Frauen am besten. Kommt zu uns. Ach, wenn sie sich bloß melden würden! Sei - ten - ein - stei - ger. Das ging runter wie Öl.

Aber die? In der Hamburger FDP scheint sich manch Funktionär inzwischen zu schütteln. Die!? Und dann auch noch als Spitzenkandidatin! Der Satz „dann verlieren wir lieber, als mit der zu gewinnen“, ist glaubhaft überliefert. Gisela Wild notiert ihn sich. Munition für die Wahlkampf-Auseinandersetzung nach innen.

40 Prozent ihrer Energie, auch diese Aussage aus berufenem Mund, muß die Seiteneinsteigerin dazu aufwenden, um die Knüppel abzuwehren, die ihr die eigenen Parteifreunde in den Weg werfen. Da weigert sich ein Teil der Kandidaten aus der zweiten Reihe, ihren Namen auf ein Plakat zu drucken. Da geht ein Teil der Parteiprominenz erstmal in Urlaub. Da wird Wilds Redebeitrag bei einer Wahlkampfveranstaltung so weit nach hinten geschoben, daß Journalisten und viele Zuhörer schon längst wieder gegangen sind.

„Na ja“, sagt Gisela Wild gestern beim Besuch in der taz, „ich bin schon erstaunt, wie's läuft .... Aber es wird besser“, beeilt sie sich nachzuschieben und verweist darauf, daß es ihr ja immerhin gelungen sei, in der Hamburger FDP diese Wahlkampagne durchzusetzen: „Lieber Wild als angepaßt.“ Es gibt nicht wenige in der Partei, deren Motto genau gegenteilig lauten dürfte.

Entsprechend knapp war es vor zwei Monaten auch zugegangen. Mit ein paar Stimmen Vorsprung hatte sich die bis dahin parteipolitisch nahezu abstinent lebende 60jährige Rechtsanwältin den FDP-Listenplatz eins gesichert. Gegen Rose Pauly, die altgediente Parteifunktionärin, und für Robert Vogel, der Gisela Wild erst nach vorne gedrängt hatte. Einen Korb hatte sie ihrem Parteichef gegeben - und ihn „nach einer Nacht Bedenkzeit“ zurückgenommen.

Seitdem versucht die „Außenseiterin“, der „politische Anti-Typ“ oder auch die „Dilettantin“, wie sie sich zuweilen fast zu kokett nennt, die Freidemokraten vielleicht doch noch über die Fünfprozenthürde zu bringen. Rennt von Redaktion zu Redaktion, verfaxt Presseerklärung auf Presseerklärung, reiht Termin an Termin - und kommt doch noch nicht so richtig über.

Ob sie mit anderen Spitzenkandidaten diskutiert und sich dabei von den Politprofis vorführen läßt. Ob sie - völlig im Gegensatz zum gerade verabschiedeten Wahlprogramm ihrer Partei - die geplante Elbvertiefung in Frage stellt, zur Verblüffung des FDP-Wahlkampfleiters eine Pressekonferenz im Stehcafe abhalten muß oder, nicht besonders liberal, mal geschlossene Heime für Crash-Kids, mal das Verbot von Meinungsumfragen in Vorwahlzeiten fordert. Wild verwirrt selbst ihr Wohlgesonnene mehr, als daß sie sie überzeugt.

„Wenn wir ein bißchen mehr Zeit gehabt hätten,“ sinniert Wilds Referent Zebralla über die kurze Anlaufphase, „dann...“, Zebralla läßt das Ende des Satzes offen. Vielleicht muß man ihn so zu Ende führen: ... dann wäre sie wohl keine Seiteneinsteigerin mehr.