■ Frankreich führt Qualitätsbezeichnungen fürs Weißbrot ein
: Die Ehrenrettung des Baguettes

Paris (taz) – Brot einkaufen, das ist in Frankreich keine banale Sache. Die meisten Bäcker bieten zwar fast nur Weißbrot an. Bei dessen Formung ist ihre Phantasie jedoch grenzenlos: Der Kunde darf wählen zwischen dem dickeren Brot – pain – und der Stange, dem Baguette, zwischen der kordeldünnen ficelle, einer ebenfalls mageren „Flöte“, oder einer schwer definierbaren Mittelgröße, die entsprechend als batard, als Bastard, verkauft wird. Brot und Baguette kann man ganz oder halbiert kaufen. Zum Überfluß gibt es die noch in runder und ovaler Form.

Hat sich der Kunde für das Äußere entschieden, kann er sich sein Brot noch außen rösch und innen „gut durchgebacken“ wünschen oder aber etwas weicher, damit es die Salatsoße gut aufnimmt und zugleich – zwischen den Gängen – Teller und Messer reinigt: Als habe sie einen Camembert vor sich, so drückt die Verkäuferin prüfend alle Brotstangen durch und sucht nach gewissenhaftem Abwägen den geeigneten Laib aus. Brotkauf ist ein Ritual.

Doch obwohl das Baguette morgens, mittags und abends auf den französischen Tisch gehört (wobei es in kürzester Zeit trocken oder gummiweich wird), geht der Brotkonsum immer weiter zurück: Zu Jahrhundertbeginn aß jeder Franzose 900 Gramm täglich. Damals war das Brot der breiten Bevölkerung allerdings auch noch dunkel und schwer; das teure Weißbrot, das kaum sättigt, war den Reichen vorbehalten. Heute ist dunkles, schmackhaftes Brot selten und irrsinnig teuer. Kein Wunder, daß der Bürger nur noch 160 Gramm am Tag kaut. Das, so meint die Bäcker- Innung, liege allein an der ungewissen Qualität des Weißbrotes: Die Industrie sei schuld. Die überschwemme den Markt mit einem Brot, dessen Teig zuvor tiefgefroren war; Fabrikbrot hat inzwischen einen Marktanteil von 15 Prozent. Da der Käufer oft nicht weiß, ob er nun in industrielles oder handgebackenes Brot beißt, leide der ganze Berufsstand an dieser Praxis.

Um 37.000 handwerklichen Bäckern wieder Hoffnung zu machen, nimmt sich jetzt der Regierungschef der Sache an. In wenigen Tagen will Edouard Balladur ein Dekret unterzeichnen, das dann „hausgemachtes Brot“ und „Brot nach französischer Tradition“ vom bloßen Hefebrot unterscheidet. Pain maison darf dann nur noch heißen, was im Laden selbst geknetet, geformt und gebacken worden ist. Ein Einfrieren des Teigs untersagt diese Qualitätsbezeichnung jedoch nicht. „Traditionsbrot“ hingegen darf in keinem Stadium gefroren worden sein und keine Zusätze enthalten, wie sie das europäische Recht erlaubt; es darf jedoch hier gebacken und anderswo verkauft werden.

Die Gewerkschaft der Industriebäcker hält die neuen Etiketten für reinen Zauber: Weder das Auge noch der feinste Gaumen könnten je ein Fabrikbrot vom Bäckerbrot unterscheiden, weil das Gefrieren vor dem Backen stattfinde. Deshalb dürfe ja auch künftig der Teig des pain maison gefroren werden. Und ob ein Brot die verbotenen Zusätze enthalte, könne nur in der Mühle selbst kontrolliert werden. Die Franzosen jedoch werden sich den neuen Sport gewiß nicht entgehen lassen und bei Wein und Käse auch über die Güte des Brotes räsonieren. Bettina Kaps