Bebop-Freunde

■ Robert Creeley und Raymond Federman über sich selbst

Es gehört zu den Glücksfällen, wenn sich zwischen Büchern, die der Zufall einem zeitgleich in die Hände spielt, Zusammenhänge offenbaren. Zumal, wenn es sich bei den Autoren um so grundverschiedene Charaktere handelt wie Robert Creeley und Raymond Federman. Ein prominenter Berührungspunkt von Creeleys „Autobiographie“ und Federmans „Eine Version meines Lebens“ ist die State University of New York (SUNY) in Buffalo. Am dortigen Englischen Institut, wo ihr gemeinsames Vorbild, der amerikanische Lyriker Charles Olson lehrte, trafen sie sich erstmals in den sechziger Jahren.

Doch es ist mehr als nur dieser Ort, der die beiden, jeweils weniger als einhundert Seiten umfassenden Lebensberichte verbindet. Gemeinsam sind Creeley und Federman auch die blassen Erinnerungen an ihre früh verstorbenen Väter und die Verehrung des Bebop. Was sie aber darüber hinaus vereint, ist das Fragmentarische ihrer Autobiographik. Bei Federmans Büchlein klingt dies schon im Titel treffend an, und auch Creeley bietet seine Erinnerungen unter Vorbehalt an. Statt Masse, wie redselige ältere Herren sie allzugern auf vielen hundert Seiten zusammenkramen, bieten diese beiden auch schon über Sechzigjährigen ziemlich lose Streuungen von Gedankensplittern.

Robert Creeley, 1926 als Sohn eines Arztes in Arlington, Massachusetts, geboren, nennt vor allem seine literarischen „Inputs“. Die Franzosen Gide und Stendhal seien verantwortlich für den „langsam sich einschleichenden Intellektualismus“ eines eigentlich naturverbundenen Burschen, der als Junge Schlammrutschwettbewerbe bestritt und lernte, aus Kupferrohren Pfeifen zu bauen. Als Creeley vor einigen Jahren noch einmal den Ort seiner Kindheit aufsuchte, mußte er feststellen, „daß meine Welt, wenn sie das jemals gewesen war, vollständig verschwunden ist“.

Es ist der Beharrlichkeit des Salzburger Residenz-Verlages zu danken, daß deutschen Lesern mit Creeleys einzigem, 1963 erschienenem Roman „Die Insel“ (1987), seinem Lyrikband „Gedichte“ (1988), „Mabel: Eine Geschichte“ (1989) und den Erzählungen „Die Goldgräber“ (1992) die wichtigsten Teile des Werkes zugänglich sind, das maßgeblich an Olsons Black Mountain College entstand.

Der 1928 in Paris geborene Federman, durch seinen Experimentalroman „Alles oder Nichts“ in Europa bekannter als in den USA, verweist die Leserschaft, die sich für zentrale Erlebnisse in seinem dramatisch verlaufenen Leben interessiert, stoisch auf seine „Outputs“. Die Kapitelüberschriften zeigen denn auch jene Bücher an, in denen er wichtige Begebenheiten literarisch bearbeitet hat, zum Beispiel „Double or Nothing“ oder „The Voice in the Closet“ („Die Stimme im Schrank“, 1989). In letzterem findet sich das Schlüsselereignis – der 16. Juli 1942, den Federman „als meinen wahren Geburstag“ bezeichnet –: der Tag, an dem er, versteckt in einem Wandschrank, der Gestapo entkam, während seine Eltern und die beiden Schwestern mit 12.000 anderen Menschen in Frankreich Opfer der Deportationen wurden, die in Auschwitz endeten.

Was Federman in seiner Autobiographie bietet, hat nichts mit dem spielerischen Konzept von Surfiction zu tun, als dessen Erfinder Federman gilt. Es ist vielmehr die Schilderung seiner frühen Jahre, nahezu im Maßstab 1:1, dokumentiert mit privaten Schnappschüssen: Federman bei der Verleihung der (amerikanischen) Einbürgerungsurkunde 1953 in Tokio, Federman mit Samuel Beckett, über den er 1965 die erste englischsprachige Dissertation schrieb, in einem Pariser Café.

„Es ist das Vergnügen und das Vorrecht des Schreibens, daß es ein Leben, das gelebt werden soll, erst einmal erfindet“, meint Creeley in seinem 1989 in Helsinki verfaßten Text. Und Federman kommt zu dem Schluß: „Schriftsteller sein heißt, das eigene Werk nicht zu kompromittieren, und daß keine sprachliche Äußerung, so darstellerisch überzeugend sie auch sein mag, dem Chaos des Lebens wirklich gerecht werden kann.“ Beide, Creeley und Federman, würden dem Satz des anderen sicher zustimmen. Denn beide Schriftsteller leben nicht nur für die Literatur; sie haben in der Literatur auch etwas gefunden, was sie dem Chaos des Lebens und den verlorenen Erinnerungen entgegensetzen können – eine erfundene Wirklichkeit. Reinhard Helling

Robert Creeley: „Autobiographie“. Aus dem Amerikanischen von Erwin Einziger, Residenz- Verlag, 62 Seiten, 28 DM

Raymond Federman: „Eine Version meines Lebens“. Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg, Maro-Verlag, 96 Seiten mit 16 Fotos, 24 DM