Strandgutsammler des utopischen Kinos

■ Alf Bold, Protegé des Avantgardefilms, ist tot / Nachruf auf einen Grenzüberschreiter

Kurz nach der Gründung des Arsenal-Kinos im Jahre 1970, als wir noch keinerlei öffentliche Unterstützung hatten, stieß Alf Bold zu den Freunden der Deutschen Kinemathek. Er war Enthusiast im besten Sinne des Wortes, Autodidakt, hatte zunächst in verschiedenen anderen Berufen gearbeitet und tendierte zur Musik. Damals war die Zeit hochfliegender Utopien des Kinos, das „New American Cinema“ und das „Andere Kino“ standen in Blüte. Alf Bold steckte unerschöpfliche Energie in die Arbeit des Arsenals, das damals noch keine Gehälter zahlen konnte (wir hatten alle Nebenjobs zum Geldverdienen).

Eines der ersten Leib- und Magenprojekte Alf Bolds war die Retrospektive des japanischen Films im Januar 1973, mit über fünfzig Filmen, die wir allabendlich übersetzen mußten, da sie nicht synchronisiert waren. Damals tauchten auch die ersten amerikanischen Experimentalfilme auf, von Michael Snow, Yvonne Rainer, Jonas Mekas und anderen. Der Name Alf Bold ist diesen Filmemachern allen ein Begriff; in den schmuddeligsten New Yorker Experimentalfilmschuppen ging er aus und ein.

Für die Präsentation solcher Filme beim Publikum, aber auch als Ansprechpartner für die häufig anreisenden Filmemacher war Alf Bold mit seiner Geduld und dem Fingerspitzengefühl eine zentrale Figur. Über die Jahre hat er, mit seiner Insistenz auf einem radikal visionären statt narrativen Kino, unseren Blick geschärft. Er hat das Arsenal-Programm oft erweitert durch Performances, Musikveranstaltungen, Video, durch Grenzüberschreitungen, durch den Dialog mit Filmemachern und Zuschauern. Wenn dieser Dialog einmal stagnierte, half ihm Alf Bold wieder auf die Sprünge. Er entfernte sich nie weit vom Arsenal, nahm sogar eine Wohnung direkt gegenüber, um bei einer Krise zur Stelle sein zu können.

Durch Gastvorträge und Touren mit Filmen war er auch in der mühsamen Kleinarbeit an Kunsthochschulen und kommunalen Kinos präsent. Zuletzt war er mit einem Paket von Experimentalfilmen aus „gefundenem Material“ unterwegs, das er auch als „Alf Bold Collection“ bezeichnete.

Durch die enge und solidarische Zusammenarbeit entstand zwischen Alf Bold und den anderen Mitarbeitern des Arsenals so etwas wie eine Lebensgemeinschaft. Sie gibt es nun nicht mehr. Alf Bold starb im Alter von 47 Jahren. Filmemacher, Kritiker, Archivisten und Programmgestalter in Berlin und überall auf der Welt, für die er eine Symbolfigur war, werden ihn vermissen. Wir fühlen schmerzlich den Verlust eines Freundes, eines Gegenübers. Vielleicht können wir aus der Erinnerung an ihn und seine Arbeit die Kraft gewinnen, nicht aufzugeben in dem Bemühen um ein mutiges und intelligentes, quicklebendiges und aufklärerisches Kino. Ulrich Gregor

Der Autor ist Leiter des Arsenals und des Internationalen Forums des jungen Films bei den Filmfestspielen.