Der Weg aus dem Ghetto ...

Boxen, Singen oder ab zum Militär: Gespräch mit Regisseur Mario Van Peebles  ■ Von Harald Fricke

taz: Die Existenz schwarzer Cowboys ist weitgehend unbekannt geblieben. Wie haben Sie für Ihren Film überhaupt recherchieren können?

Mario Van Peebles: Ich habe Bücher wie „The Black West“ oder „Red Black and Deadly“ gefunden, und einige Texte, die Schwarze auf die Umschlagseiten alter Bibeln geschrieben hatten. Außerdem gab es Filmmaterial zu den schwarzen Truppen, die aus dem Spanisch-Amerikanischen Krieg in Kuba heimgekehrt waren. Ansonsten konnte ich auf Stadtbücher zurückgreifen. Die ersten 44 Siedler von Los Angeles waren beispielsweise gemischtrassig: 26 Schwarze, die anderen weiß. Aber das wissen die meisten Amerikaner nicht, genau wie die Tatsache, daß jeder dritte Cowboy schwarz war. Die Informationen sind da, nur werden darüber keine Filme gemacht. Genau dasselbe passiert in Hollywood mit den Rocky-Filmen. In 40 oder 50 Jahren wird man zweifellos denken, daß alle Schwergewicht-Champions im Boxen wie Sylvester Stallone ausgesehen haben. Nichts anderes hat sich mit dem Western und John Wayne abgespielt. Das ist interessant, wenn man bedenkt, daß ausgerechnet Schwarze ursprünglich als Cowboys bezeichnet worden waren. Man ließ die Sklaven auf Pferde und Kühe aufpassen und man nannte sie abwertend „Boys“, denn Sklaven waren ja keine Männer, sondern bloß Boys – Cowboys.

Dagegen soll „Posse“ den schwarzen Jugendlichen zeigen, daß ihre Vorfahren Teil der Geschichte des American dream gewesen sind?

Der Film ist nicht ausschließlich für ein junges schwarzes Publikum gemacht. Wenn aber immer nur Italiener in Gangsterfilmen zu sehen sind, glaubt man dann nicht irgendwann, daß die Italiener mit der Mafia gleichzusetzen sind? Oder du siehst stereotype Zweite- Weltkrieg-Nazis wie in „Indiana Jones“, also bleibt die Vorstellung hängen, daß Deutsche ihre Zigaretten falschherum rauchen und „Schweinehund“ sagen. Wenn wir schwarze Jugendliche nur in Gang- Filmen bei Schießereien zeigen, bleibt am Ende auch das die einzige Realität, an die man glaubt.

Für die Figur des Jesse Lee haben Sie Clint Eastwood als Vorbild genommen. Aber Sie legen mehr Wert auf die Gemeinschaft. Jesse kämpft nicht als lonesome Cowboy und heimatloses Individuum, sondern für die Ziele der schwarzen Siedler.

Die frühen Western nahmen sich sehr ernst und waren im Grunde nichts als Propaganda: gute weiße Siedler, böse Indianer. Erst die Europäer haben daraus im Spaghetti-Western eine Parodie gemacht. Mir gefällt es, die Helden von Peckinpah und Leone gleichzeitig zu nehmen und in einen völlig anderen Rhythmus der neunziger Jahre zu stellen. Der ganze Film bewegt sich schneller. Dazu kommen die unterschwelligen Motive: Ich habe viel von Clint Eastwood und Woody Strode übernommen, aber bei mir kann der Held nicht nur schießen, sondern auch Bücher lesen. Die größere Betonung liegt auf dem Wissen um die Geschichte von diesem Land und seinem Glaubensideal, daß jeder sein Leben selbst in die Hand nehmen kann, so wie die Schweizer, Deutsche oder Iren. Mit der Folge, daß Indianer und Schwarze nicht wählen durften. Aber was bedeutet eine freie und demokratische Gesellschaft, wenn man am Kapitalismus teilhaben soll, ohne wählen zu können? Vor diesem Hintergrund ist 1890 die Zeit von Freemanville und „Posse“, so wie South Central für 1990 steht.

Es gibt in Ihren Filmen zwei Gesetze: das der Natur und das des Geldes. In „Posse“ wird das Gold zur Spur durch das Land, auf der Colonel Graham den flüchtigen Jesse Lee verfolgt.

Das Geld dient zu nichts anderem als einem Werkzeug. Jesse benutzt das Gold, um daraus die Kugeln gießen zu lassen, mit denen er sich rächt. Dies ist zwar kein politischer Film wie Malcolm X, aber er hat seine Anspielungen. Man muß sich fragen, warum die Afrikaner von Beginn an mit den Indianern eine Gemeinschaft bilden konnten: Sie hatten ein ähnliches Verhältnis zum Geist und der Natur, die für sie Gott repräsentierte, und sei es als Bär oder Büffel in der Jagd. Das Christentum hat diese Vorstellung vertrieben. Dort ist Gott ein weißer Mann mit einem Bart, der über den Wolken thront. Das hat zwei entscheidende Veränderungen nach sich gezogen: Gott ist weiß, also stehen ihm alle Nichtweißen weniger nahe, und zweitens wurde Gott als ein Mensch vorgestellt, nicht mehr als Natur. Dann brauchst du aber die Natur auch nicht länger zu respektieren – du kannst den Wald abholzen, um Profit zu machen, kannst für einen Mercedes Benz die Erde ausbeuten, kannst die Gelbhäutigen für dich Eisenbahnen bauen lassen und das Land dazu von den Rothäutigen nehmen.

Über Freemanvilles Kirche steht dagegen der Slogan: „Education is Freedom“. Aber der Film beginnt mit einer Actionszene aus dem Kubakrieg und endet mit einer Stadt, die in Schutt und Asche liegt. Sind das nicht eher düstere Perspektiven trotz Education?

Nun, wenn du einen Film über Gandhi machst, können wir beide uns den Film anschauen, das interessiert die Jugendlichen im Ghetto, die Skinheads oder sonstwen nicht. Mit der Verknüpfung von Action und nachdenklichen Passagen berührst du aber alle wichtigen Belange auch für ein breites Publikum. Was wäre ein Western mit einem netten alten schwarzen Mann und einem lesbischen Pärchen, in dem niemand schießt und alle politisch korrekt sind? Die fünf Leute, die sich den Film anschauen, werden ihn lieben. Statt dessen gibt es bei mir Western, Action, Sex – und ganz nebenbei kann der Held lesen, oder im Konflikt zwischen Jesse und seinem Vater King David wiederholt sich die Auseinandersetzung um Malcolm X und Martin Luther King. Man muß nur mit Lösungen aufpassen. Ob Malcolms „by any means necessary“ oder Martins „by peaceful means necessary“, sie bringen dich in beiden Fällen um. Es geht darum, sowohl nachzudenken als auch zu kämpfen. Genau so hat sich Amerika von den Engländern befreit. Andererseits wollte ich realistisch bleiben. Für Schwarze blieb nach Sklaverei meistens nur der Militärdienst bei den Truppen an der Front, auch dort gelten sie noch heute, trotz eines Anteils von 30 Prozent, als Minderheit. Das ist mitunter der einzige Weg aus dem Ghetto: Boxen wie Mike Tyson, Singen wie die Jacksons oder ab zum Militär. Mein Vater setzte dagegen auf Ausbildung und schickte mich zur Schule, damit mir ein anderer Weg offenstand. Insofern ist Education bis zu einem gewissen Grad tatsächlich auch Freedom.

Kann deshalb ein Weißer wie Little J. ganz gleichberechtigt neben lauter Schwarzen als Held existieren?

Wenn man sich einmal unabhängig von Interviews oder Filmen überlegt, wie wenig Zeit einem auf diesem Planeten bleibt, sollte man sie lieber gemeinsam bestreiten. Dieses Thema zieht sich durch den ganzen Film. Ich habe sogar Beleuchtung und Kulissen so gestaltet, daß bei den Aufnahmen die Unterschiede zwischen roter, weißer und schwarzer Hautfarbe weitgehend verschwunden sind.

Vor allem haben Sie mit einer ganzen Reihe von schwarzen Schauspielern gearbeitet, die selbst Filme produzieren. Geht es da nicht auch um Solidarität?

Die meisten Western kosten 20 bis 30 Millionen Dollar, „Posse“ kommt lediglich auf 9 Millionen. Das ging nur deshalb, weil sich die Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, sehr persönlich für den Film engagiert haben. Es war ihnen wichtig, aus der bisher üblichen Ghetto-Szenerie herauszukommen. Nachdem jeder all diese Gangfilme zur Genüge kennt, muß endlich etwas anderes passieren. Das haben schon die schwarzen Filmemacher versäumt, die in den siebziger Jahren bereits dieselben Erfahrungen gesammelt haben. Niemand tat etwas gegen das Image und plötzlich war die Tür zu. Eine Menge der Beteiligten hat jetzt festgestellt, daß es um einen größeren Zusammenhang im Bewußtsein geht und nicht darum, wieviel Geld man für den Job bezahlt kriegt – weder Schwarze noch Weiße, das ist das Aufregende. Denn das Problem geht inzwischen viel tiefer als die Hautfarbe: Engländer gegen Iren, Hindus gegen Moslems, Chinesen gegen Japaner.

Das führt zu der bedenklichen Verkehrung von Klassenkampf und Rassenkrieg. Sie lassen dies in „Posse“ von Carver ausdrücken, der die schwarze Gemeinde betrügt, um in die Gesellschaft der Weißen aufgenommen zu werden.

Ich glaube, daß die Menschen immer sagen, wer sie sind, wir hören ihnen nur nicht zu. Carver sagt zu Jesse, wenn das Land verteilt ist, gibt es nur noch den Unterschied zwischen denen, die welches besitzen, und den Besitzlosen. Die Grenzen verlaufen dann nur noch im Geschäftsleben und zwischen Armut und Reichtum. Das ist interessant, denn wenn du Geld besitzt, machst du dir Gedanken über Eigentum, obwohl du weiterhin ein abhängiger Teil der Weltzusammenhänge bist. Die Japaner haben Geld und Macht, und doch reagiert man auf sie nach wie vor wie auf Fremde, denen man ihre Andersheit übelnimmt.

Es gibt Vorwürfe, „Posse“ wäre nur auf Geschwindigkeit gedreht. Ist Ihnen die Bewegung innerhalb der Story wichtiger als die Psychologie der Charaktere?

Es kommt auf das Thema an. Western sind in der Regel sehr langsam. Also wollte ich dem Genre, so wie es sich eingeprägt hat, einen anderen Rhythmus geben. „Posse“ bewegt sich unterschiedlich. Am Anfang spielt die Handlung in einer beängstigenden räumlichen Enge, die Kamera kreist bei den Szenen in New Orleans ständig über dem Geschehen und bleibt unentwegt in Bewegung. Es geht weiter westwärts und das ganze Tempo verlangsamt sich, du siehst Bilder, den Schnee, die Berge ... Es gehört alles zur Story, jede Einstellung, jeder Schnitt. Wenn Weezie sagt, daß er Gold braucht und die Hand ausstreckt, dann sieht man, wie dieses Gold in der nächsten Szene an eine andere Hand weitergegeben wird. Jede Szene ist mit der folgenden verflochten. Der Film ist zwar schnell, aber in seiner Schnittfolge nicht zerhackt. Er schlängelt seinen Körper gefühlvoll wie eine Schlange. Ich orientiere mich beim Filmen eher an der Musik, die ich dazu im Kopf habe. In „New Jack City“ hast du den Helicopterflug bis zur Brücke, danach stürzt die Kamera direkt in die Fahrradverfolgung unten auf der Straße und als nächstes kommt eine lyrische Bewegung ähnlich wie in Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“ – für einen Moment langsam den Zug entlang – und dann bist du wieder zurück im Geschehen.