Wer hat Kasdi Merbahi ermordet?

■ Algerien spekuliert über Attentat auf Ex-Ministerpräsident

Kairo (taz) – „Chadli ist ein Verbrecher!“ Voller Bitterkeit schrie die Witwe des ehemaligen Premierministers Kasdi Merbahi ihren Zorn heraus, als der Ermordete am Samstag in Algier beigesetzt wurde. Den gleichen Satz riefen wütende Demonstranten vor etwas über einem Jahr bei der Trauerfeier für den früheren Präsidenten Mohammad Boudiaf, der am 29. Juni 1992 ebenfalls einem Attentat zum Opfer gefallen war. Mit „Chadli“ ist Algeriens Ex-Präsident Chadli Bendschedid gemeint, den die Militärs Anfang 1990 bei ihrem Staatsstreich zum Rücktritt zwangen. Obwohl die Algerier ihn für eine eher schwache Figur hielten, symbolisiert sein Name bis heute die Machtzentren, die während seiner zehnjährigen Herrschaft entstanden sind. Im algerischen Volksmund werden sie kurz „die politische Mafia“ genannt. Bis heute bestehen diese alten Seilschaften fort.

Wer hat Merbahi ermordet? Erneut gehen Spekulationen über einen politischen Mord in Algerien um, genau wie im Sommer 1992. Damals sprach viel dafür, daß die „politische Mafia“ und der algerische Geheimdienst ihre Finger bei der Ermordung Boudiafs im Spiel hatten. Wo sitzen die Täter dieses Mal? Soeben hat eine in Algerien bisher unbekannte Gruppierung names „Gamaa Islamia“ die Verantwortung übernommen. Dennoch glauben nur wenige Leute, daß die Islamisten dieses Mal hinter dem Attentat stehen. Beweise gibt es natürlich keine. Doch wenn man die Aktivitäten Merbahis zurückverfolgt, kristallisiert sich zumindest ein Phantombild der möglichen Täter heraus.

Merbahi, der sich bereits mit 18 Jahren dem Befreiungskampf der FLN angeschlossen hatte, war einst eine der Hauptstützen des FLN-Regimes. Nach der Proklamation der Unabhängigkeit übernahm er die Leitung des Militärischen Geheimdienstes. Die Algerier nannten ihn damals den „Mann der Geheimakten“. Im Machtkampf nach dem Tod von Boumedienne 1978 spielte er eine entscheidende Rolle; er unterstützte die Ernennung von Chadli Bendschedid zum neuen Präsidenten. Obwohl er danach seinen Geheimdienstposten aufgab und verschiedene Ministerposten übernahm, wurden seine „geheimen Akten“ immer dicker. Merbahi hatte begonnen, Material über das System der Korruption im algerischen Machtapparat zu sammeln.

Als 1988 die algerischen Brotpreiskrawalle ausbrachen, ernannte Bendschedid ihn zum Ministerpräsidenten. Doch statt sich auf eine Konfrontation mit der bereits bestehenden „Islamischen Heilsfront“ FIS einzulassen, wie Teile der politischen Führung gehofft hatten, begann er einen ersten „Flirt“ mit den Islamisten. Er wurde aus dem Amt des Ministerpräsidenten entlassen. Nach der vernichtenden Niederlage der FLN in den Wahlen 1990 verließ er seine alte Organisation. Unter dem Namen „Algerische Bewegung für Gerechtigkeit und Entwicklung“ gründete er seine eigene Partei und machte sich in aller Stille daran, sein Comeback vorzubereiten.

Er unterhielt Beziehungen zur verbotenen FIS und stellte Verbindungen zwischen ihr und anderen Gruppierungen, auch zur FLN, her. Er kritisierte die Art, wie die algerischen Militärs ihren mittlerweile gescheiterten „nationalen Dialog“ unter Ausschluß der FIS führten. „Zu diesem Dialog hat die Regierung zwar alle möglichen Fußballmannschaften eingeladen, aber den wichtigen politischen Kräften hat sie sich verschlossen“, spöttelte er einmal.

Für das algerische Regime, das für die kommenden Monaten die Einrichtung eines nicht gewählten „Ersatzparlaments“ und einer ebensolchen Präsidentschaft plant, wurden Merbahis Aktivitäten in den letzten Wochen zunehmend gefährlich. Nur wenige Tage vor seinem Tod war er von einer Europareise zurückgekehrt. In Genf hatte er sich nach einem Bericht der libanesischen Tageszeitung Al- Hayat vom Montag mit Hussein Elt, dem Führer der sozialistischen Front FFS, getroffen. Außerdem war Merbahi an einem unbekannten Ort in Europa mit Vertretern der FIS zusammengekommen, berichtete das Blatt. Das wichtigste Ergebnis seiner Gespräche sei gewesen, daß er den Widerstand der algerischen Sozialisten gegen eine Beteiligung der FIS an einem Dialog über die Zukunft Algeriens habe brechen können.

Nach seiner Rückkehr hatte er dem Bericht zufolge Gespräche mit FLN-Leuten und mit gemäßigten Gruppierungen der islamischen Bewegung, wie Hamas und den Moslembrüdern, geführt. Unter seiner Regie sei eine Allianz der wichtigsten 17 politischen Gruppierungen im Entstehen gewesen, die sich eine Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse zum Ziel gemacht habe. Ihr Präsidentschaftskandidat wäre Merbahi gewesen. Als erste Maßnahme hatte Merbahi nach Angaben der Zeitung eine Veröffentlichung seiner „geheimen Akten“ zum Thema Korruption geplant, schrieb Al-Hayat. Nach seinem Tod werden viele Mitglieder der „politischen Mafia“ wieder ruhig schlafen können, vor allem aber Staatsratsmitglied Khaled Nezzar, der die Absicht hat, sich von den Militärs in Kürze zum Präsidenten küren zu lassen. Khalil Abied