■ Serie Denk-Mal, das Gedächtnis des Ortes: Teil 14
: Sowjetgeschichte an der Wand

Wo Reiche untergehen, stürzen Denkmäler vom Sockel – seit 1990 ist Mittel- und Osteuropa von diesem Lehrsatz verstärkt betroffen. Die symbolischen Repräsentanten von Staaten, Garanten der Ewigkeit aus Erz und Stein, holen der Schmelzofen und der Bagger ein. So verschwinden Zeugen einer vorhandenen Geschichte.

Will man das Gedächtnis tilgen, aber die Monumente erhalten, hilft nur eines: ihre Identität muß verändert, die Perspektive des Betrachters umgelenkt werden. Der Agent der Erinnerung wird zum Doppelagenten und braucht eine neue Legende.

Versiert in diesem Spiel war der Deutsche Arbeiter- und Bauernstaat im Bunde mit seinem großen Bruder. Da wurden nach 1945 nationalsozialistische Herrenmenschen umstandslos zu realsozialistischen Klassenkämpfern stilisiert. So geschehen in Eberswalde und anderenorts, wo Skulpturen des NS-Künstlers Arno Breker mit Schrifttafeln in russischer Sprache zu Sowjet- Denkmälern umgewidmet wurden.

Bei Gebäuden versuchte man mit Accessoires wie Fahnen und Emblemen, aber auch mit Kunst am Bau die ideologischen Wurzeln der Architektur zu verschleiern. So bei der „Höheren Fliegertechnischen Schule der Reichsluftwaffe“ im brandenburgischen Jüterbog.

Seit 1860 gehören Soldaten zum Bild der Kleinstadt: erst eine ständige Garnison, 1916 ein Militärflugplatz, im „Dritten Reich“ weitere riesige Militäranlagen, ab 1945 Garnison der Westtruppe der sowjetischen Streitkräfte (angeblich befand sich hier die größte sowjetische Gemeinde außerhalb der UdSSR).

Das Militärgelände „Altes Lager“ blieb im Krieg vollständig erhalten, Sowjetsoldaten zogen ein. Im südwestlichen Teil der klassisch gegliederten Anlage – in den dreißiger Jahren im Stil des Hitler-Architekten Speer erbaut – liegt die Fliegerschule. Ein Rundbau, den die Besatzer für Selbstzwecke nutzten wie ihre Vorgänger. Für Schulungen, als Kino und als Offizierskasino.

Da kommt man durch den gläsernen Treppenflur in den ersten Stock und sieht – mehr als hundert Meter lang und vier Meter hoch: die glorreiche Geschichte Rußlands und der Sowjetunion an die Wand gemalt. Von Iwan dem Schrecklichen bis zur Eroberung des Weltalls. Grelle Bilder von Volk und Vaterland, bestückt mit dem, was dem Patriotismus förderlich ist. Krieg und Mord und Totschlag.

Die Ausmaße monumental, die Ausführung derb, der Stil im plattesten sozialistischen Realismus. Als wäre hier eine Abteilung Soldaten zum Verschönern der Wände abkommandiert worden, und doch – was sie da gepinselt haben, beeindruckt unmittelbar. Iwan, der erste Zar Rußlands, der weniger schrecklich aussieht als sein jähzorniger Charakter und seine imperiale Machtpolitik vermuten lassen. Marschall Kutusow, der Widersacher Napoleons, als steifer Krieger.

Mittendrin Lenin, massig und dunkel, mit dem gutmütigen Blick eines Kumpels und den Händen in den Hosentaschen. In seine riesigen Unterschenkel ist ein Türchen eingelassen. Doch es verbirgt nur den Feuerlöscher. Zwischen den Figuren, revolutionäre und kriegerische Schlachten, die Entwicklung der Landwirtschaft, der Industrie, der modernen Technologie.

Wenn die 60.000 Soldaten, die noch 1991 in Jüterbog stationiert waren, bis nächsten Jahres endgültig abgezogen sind, werden 128 Quadratkilometer im Landkreis frei.

Siebzehn Prozent der Gesamtfläche waren militärisch genutzt. Im „Alten Lager“ mit seinem weiträumigen Bauensemble im freundlichsten Schönbrunner Gelb, trampeln schon heute keine Soldatenstiefel mehr. Statt dessen wachsen Wildkräuter zwischen dem Straßenpflaster und Schimmelpilze von den Decken der Häuser.

Und während die neue Staatengemeinschaft GUS schon wieder zerbröselt, hält sich in der Fliegerschule die glorreiche Geschichte des untergegangenen Sowjetreiches an den Wänden. Hier vernichtet keine großartige historische Entwicklung das Zeugnis vergangener Zeiten, schlicht Wind und Wetter. Bascha Mika

Morgen in der taz: Der Pestfriedhof in Eichstätt