Durchs Dröhnland
: Schwuppdiwupp schon ganz woanders

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Wer glaubt, daß die Rechnung Holland + Musik = 2 x Herman (van Veen und Brood) aufgeht, lag natürlich immer schon falsch. Aber erst seit Ohren durch extralange Haarmatten ausdrücklich vor Death Metal geschützt werden müssen, dringen auch wieder vermehrt jüngere Bands über die Grenzen. Pestilence waren die erste niederländische Death-Kapelle von internationalem Rang, inzwischen klopft schon die zweite Generation gegen Friedhofsmauern – so wie Gorefest. Bekanntermaßen geht es im Death erst in zweiter Linie um eine solche Abfolge von Tönen, die der geschulte Radiolauscher als Melodie bezeichnen würde. Entscheidend sind vielmehr der Klang und besonders seine Brutalität. Was nicht bedeutet, daß Gorefest nicht Melodien produzieren würden, bloß die hören sich eben nicht mehr so an. Dies das Verdienst von Jan-Chris de Koever, zuständig für „vocals“. Die englische Bezeichnung ist hier eindeutig treffender als „Gesang“, und ich möchte nicht wissen, was de Koever morgens nach dem Zähneputzen gurgelt. Diese Stimme ist das tiefe, böse Grummeln eines Toten, der auch noch zutiefst beleidigt ist. Gorefest sind der (trotz allem) lebende Beweis, daß Death Metal noch lange nicht seine letztgültige Ausformung erreicht hat, wie man bereits vor zwei, drei Jahren denken konnte, denn hin und wieder lockern sie ihre Kompromißlosigkeit im Sound mit abwechslungsreichen Arrangements.

Am 27.8. mit Samael um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Das Hin- und Hercrossovern im Hardcore nimmt langsam verwirrende Formen an. Bei Psychastorm findet sich so viel, daß eine Liste jeden Rahmen sprengen würde und die Grundlage Hardcore nur mehr in den p.c.-Texten erkennbar ist. Pro Song wechselt selbst der Rhythmus einige Male von Dub Reggae über Funk bis zum satten 4/4. Ähnlich verhält es sich mit den Gesangsstilen: Rap, Toasting oder schlicht mal eine Melodie. Doch ob da was nicht zusammenzugehen scheint, ist für Psychastorm kein Problem. Ohne große Mühe halten die vier aus Nottingham die divergierenden Einzelteile zusammen und sind dabei doch jederzeit tanzbar, als wäre das alles ein Klacks. Und wenn sich der Groove doch einmal durchzieht, sind sie trotzdem in der Lage, Spannung zu halten und plötzlich im wohligen Nichtpassieren zu suhlen.

Am 27.8. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Str.157, Schöneberg

Die allwöchentliche Geschichtsstunde gibt diesmal Jimmy Thackery. Vierzehn Jahre Mitglied der Nighthawks (bekannt aus jeder „Nice Price“- Grabbelkiste, was allerdings nicht ehrenrührig ist, denn da sind schon ganz andere gelandet), dann Gründer der Assassins, jetzt solo. Schön altmodisch, amerikanische Clubmusik. Stellen Sie sich vor: kilometerlanger Tresen, Sie davor ein Miller Light in der Hand, dickbäuchige Biker am Billard, durch die Rauchschwaden können Sie gerade noch die Bühne erkennen. Von dort kommt Rock 'n' Roll, ein bißchen Blues, ein bißchen Country, eben ein Mann, seine Gitarre und zwei Kumpels an Baß und Schlagzeug.

Am 27.8. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg

Es gibt zwei Dinge, die Hammerbox definitiv von anderen Bands aus Seattle unterscheidet: Sie haben eine Sängerin und stehen auf Jägermeister. Ob der Kräuterlikör allerdings der Grund ist, warum Hammerbox huschhusch nach ihrem Independent-Debüt einen Major-Vertrag bekamen, darf bezweifelt werden. Vielmehr ihre kommerziell auswertbare Herkunft und die Stimme von Carrie Akre versprechen deftige Verkaufszahlen. Denn wenn Nirvana Menschen ab 15 ansprach, dürften Hammerbox ohne Probleme die Freigabe ab 12 bekommen. Auch wenn die Plattenfirma den Namen Patti Smith ins Spiel bringt, fehlt Akre trotz vergleichbarem Timbre doch noch deren Zerrissenheit, Verzweiflung und Manie. Was bleibt, sind ohrwürmende Melodien, mittelschnelle Beats, schlicht guter Pop, denn nicht mehr sind inzwischen diese krachenden Gitarren. Was nicht heißt, daß das nicht auch heute noch ziemlich klasse klingen kann.

Am 28.8. um 21 Uhr im Huxley's Junior

Zwei Bands, zwei Kontinente mit zwei verschiedenen Traditionen. Und doch verbindet die Smashing Pumpkins und Verve ein gemeinsamer Ansatz. Ausgehend von den jeweiligen Musiklandschaften wird der fremde Stil neugierig erforscht. Die aus Chicago stammenden Pumpkins sind ganz Rock: heftig, gewalttätig, explodierend. Aber doch einen Tick zu krude, um als rein amerikanisch durchzugehen. Da gibt es das eine oder andere Instrument, das nicht paßt, das Break an der falschen Stelle, das den vorbestimmten Fluß bricht, oder den einen Ton, der nicht so logisch auf den letzten folgt, wie man das erwartet hätte. Da werden Stile nicht miteinander verschmolzen, sondern nur zitiert und nebeneinandergestellt. Im Gegensatz dazu sind Verve ganz Britannien: zurückgenommen, sanft, implodierend. Und das noch extremer, als es die von den Smiths zu voller Blüte geführte Tradition des Schrammelrocks vorgemacht hat. Bei Verve passiert nicht viel, Harmonien werden gestreichelt, schwellen auf, schwellen wieder ab, der Trommler haucht seine Schläge, der Sänger träumt seine Stimme. Doch immer wieder brechen Gitarren hervor, die man so eigentlich nur von amerikanischen Bands kennt. Und nahezu jeder Song ist – trotz der extraordinären Sanftheit – recht vorhersehbar, zwar bemüht um rhythmische Abwechslung und extrem im Umgang mit den Lautstärken, aber immer wird man in Sicherheit gewiegt und diese selten unterbrochen. Selbst wenn plötzlich eine völlig unpassende, aber doch irgendwie nette Flöte einsetzt, überrascht das nicht, sondern läßt nur die Gedanken fliegen, vielleicht in die 70er, weil irgendwie ist das jetzt Doors, oder vielleicht doch Byrds. Und schwuppdiwupp ist man schon ganz woanders oder vielleicht auch eingeschlafen. Das nennt man dann wohl New Age. Während die Pumpkins ihren Weg von „Das nächste große Ding“ zum halbgaren Startum schon abgeschlossen haben, steht Verve das noch bevor. Die Pumpkins sind auf der einen Seite zu eingängig, auf der anderen zu spinnert, um die Massen zu erobern, Verve sind zu obskur, um mehr als nur Kultstatus zu erreichen. Aber der dürfte ihnen jetzt schon sicher sein.

Am 1.9. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt Thomas Winkler