Hundertprozentig kubanisch

Pedro Luis Ferrer, Kubas populärster Sänger, darf wegen seiner sozialkritischen Texte nicht auftreten  ■ Von Thomas Schmid

Die Rumflasche macht noch einmal die Runde. Dann verstummt die ausgelassene Gesellschaft. Eine andächtige Stimmung macht sich breit. Nur zwei Kinder in der Ecke plärren weiter. Sie haben nicht begriffen, wer da gekommen ist. Erst als der bärtige Mann mit dem langen schwarzen Haar an den Saiten seiner alten Gitarre zu zupfen beginnt und die beiden Gören anlacht, verstummen auch sie und bleiben mit offenem Mund stehen. Dann singt er das Lied vom Opa, der vor langer Zeit unter gewaltigen Opfern ein Haus für die ganze Familie gebaut hat und bis heute nicht duldet, daß am Gebäude ohne sein Plazet irgend etwas verändert wird, und da Opa einen Revolver und ein Messer hat, ist es klüger immer ja zu sagen, auch wenn man nein meint. Die Gäste der Geburtstagsparty, die irgendwo in der Altstadt von Havanna stattfindet, haben alle verstanden, von wem die Rede ist.

Pedro Luis Ferrer ist aus dem Verkehr gezogen, hat faktisch Auftrittsverbot, doch seine Kassetten, aufgenommen im Freundeskreis, bei Geburtstagsfeten, in Privatwohnungen, kopiert, weitergereicht, zirkulieren in der kubanischen Hauptstadt zu Tausenden. Einmal abgesehen von Silvio Rodriguez und Pablo Milanés, den vom Regime kräftig geförderten Musikern, deren Songs längst zu staatlichen Exportschlagern geworden sind, ist der 40jährige Pedro Luis Ferrer zur Zeit wohl der populärste Sänger Kubas. „Jedes öffentliche Konzert, das er nicht gibt“, heißt es in Havanna, „macht ihn noch beliebter.“

Pedro Luis aber ist alles andere als zufrieden. Drei Platten hat er schon produziert, die letzte allerdings 1986. Zwei Jahre, 1989 bis 1991, hat man ihm keinen Auftritt gegeben, dann ein kurzes Intermezzo, und jetzt ist er schon wieder sechs Monate außer Kurs. Und diesmal sieht es nicht danach aus, als ob sich das je ändern würde. In Kuba bestimmen allein staatliche Kulturinstitutionen, wer wo öffentlich auftreten darf und wessen Musik auf Schallplatten, Kassetten oder CD festgehalten und verkauft wird.

Zwar ist Pedro Luis als examinierter Berufsmusiker weiterhin am „Instituto de música“ angestellt, das ihm monatlich 400 Pesos zahlt. Das sind fünf Dollar, und damit gehört er in Kuba zweifellos zu den Besserverdienenden. Doch arbeiten läßt man ihn nicht. Seine Texte sind zu frech, und möglicherweise haben ihm die Kulturfunktionäre noch nicht verziehen, daß er öffentlich festgestellt hat, daß auch Celia Cruz, die alte Dame des Salsa, die seit über dreißig Jahren im Exil in Miami lebt und ab und zu gegen Castro wettert, zur kubanischen Kultur gehört. Auch die drei Pianistinnen und die zwei Techniker, die zu Ferrers Gruppe gehören, sind arbeitslos und werden für ihren Müßiggang staatlich honoriert. Kuba läßt sich seine Kultur tatsächlich etwas kosten.

Amtlich wird Pedro Luis Ferrer totgeschwiegen, so tot, daß sich Abel Prieto, Präsident des kubanischen Schriftsteller- und Künstlerverbandes und Mitglied des Politbüros, jüngst zu einer Klarstellung bemüßigt sah. In einem Interview, das die spanisch-sprachige US- Zeitschrift Contrapunto in ihrer Juli-Ausgabe veröffentlichte, antwortet der Kulturfunktionär auf die Frage, ob Pedro Luis Ferrer im Gefängnis sei oder nicht: „Nein, er läuft frei herum, ich habe ihn gesehen ... Um einige seiner Konzerte werden viele Legenden gebaut. Zur Zeit ist die Lage im Land angespannt, und auch nur die kleinste Provokation kann zu politischen Folgen führen, weil alles politisiert wird.“

Vor dieser Politisierung habe auch er Angst, gesteht der öffentlich verstummte Sänger, aber „ich werde nicht verschweigen, was ich zu sagen habe, nur damit die Bürokratie mir erlaubt, wie früher im Fernseher zu erscheinen“. Das sei für ihn eine Frage der Selbstachtung. Zu sagen hat er viel. Pedro Luis Ferrer greift vor allem tabuisierte Themen auf. So geißelt er in seinem Song „Er ist ganz scharf darauf“ die Diskriminierung der Schwulen und fordert statt dessen eine Debatte über die „Machos, die ihre Frauen wie Sklaven behandeln“ und über „die Mächtigen, die ihren Söhnen Luxusautos schenken“ oder singt von Marucha, der Prostituierten, „die im Kindesalter von ihrem eigenen Vater vergewaltigt wurde, nie mit Puppen spielte und eines Tages im Alkohol aufwachte“. Lieder über Leute, die weit entfernt vom „neuen Menschen“ sind, den die revolutionäre Propaganda so penetrant beschwört.

Am meisten Ärger jedoch trug ihm das Lied „Hundertprozentig kubanisch“ ein. Da träumt er davon, im besten Hotel Havannas zu schlafen, am Luxusstrand von Varadero ein Häuschen und eine Jacht zu mieten, Languste zu essen und dann einen Flug ins Ausland zu buchen, kurzum all das zu tun, was der Ausländer kann und der Kubaner eben nicht.

Die Kulturbürokratie fühlt sich provoziert und wehrt sich lautlos mit den ihr eigenen Mitteln. Doch Pedro Luis Ferrer will sich nicht kleinkriegen lassen. So hat er sich nun in seinem großen, heruntergekommenen Haus, das er von einer Tante geerbt hat, mit einfachen Mitteln sein eigenes schalldichtes Studio eingerichtet. Hier, im Dickicht von Musikinstrumenten, Lautsprechern, Verstärkern, Synthesizern und Kabeln übt er mit seiner Gruppe und nimmt die Lieder und karibischen Rhythmen auf Kassetten auf, die er Freunden kopiert und die dann den Weg zu Tausenden Kubanern finden. Doch dabei verdient er eben nicht einen Peso. „Die Kassetten zu verkaufen, das wäre illegal“, betont der Sänger. Nein, der Bürokratie wolle er nicht auch noch den Vorwand liefern, gegen den alternativen Vertrieb seiner Musik einzuschreiten.

Pedro Luis Ferrer will sich die Rolle des Opfers nicht aufdrängen lassen, das hieße, so sagt er, die Logik der Macht zu akzeptieren. „Ich versuche zu sein wie das Wasser, das unaufhaltsam fließt und fließt, und wenn es auf eine Mulde trifft, füllt es sie aus und fließt dann weiter, das Wasser findet die Spalten und Ritzen, und so findet es die Freiheit.“ Der arbeitslose Musiker beklagt zwar den Mangel an demokratischer Kultur auf der Insel, an Kultur überhaupt, und den Überfluß an Unkultur, doch aus Kuba absetzen wie so viele andere Künstler will er sich nicht. „Ich will das Land nicht verlassen“, sagt er, „doch ist mir oft so, als habe das Land mich verlassen.“