Steiler Anstieg der Gewalt von rechts

■ Verfassungsschutzbericht 1992: 74 Prozent mehr Taten als 91 / 42.000 organisierte Rechtsextreme

Bonn (taz) — Eine „Eskalation der Gewalt, die die Ereignisse von 1991 weit übertraf“, konstatiert der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1992. Die bedrückende Bilanz, die Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) gestern in Bonn vorstellte: 2.584 Gewalttaten mit rechtextremistischem Hintergrund, das sind 74 Prozent mehr als 1991. Die Zahl aller rechtsextremistisch motivierten Gesetzesbrüche stieg sogar um 83 Prozent; inklusive Schmieraktionen, Beleidigungen und Zeigen verbotener Symbole registrierten die Verfassungsschützer 7.121 Straftaten. 17 Menschen starben 1992 als Opfer rechtsextremistischer Anschläge. Zulauf auch für die einschlägigen Organisationen: so registriert der Bericht 42.700 Mitglieder rechtsextremistischer Vereinigungen (1991: knapp 40.000), davon 6.400 militante. Zwar flachte die Welle der Ausschreitungen zeitweilig ab, aber im ersten Halbjahr 1993 wurden wieder über tausend Gewalttaten gezählt.

Der Linksextremismus behauptet auch in diesem Jahr den angestammten ersten Platz im 270 Seiten starken Befund des Kölner Bundesamtes, doch „Grund zur Sorge“ ist für Kanther in erster Linie die gestiegene Militanz der Rechtsextremisten. Konkreter als im Vorjahr nennt der Bericht Beispiele und Motive. Fremdenfeindlichkeit war das Hauptmotiv für Gewalt, 681 Brandanschläge richteten sich gegen Asylbewerberheime. Herausragendes Beispiel des Berichts sind die Schrecken der tagelangen Ausschreitungen in Rostock: „Die Täter (...) wurden aus einer Menge von bis zu 3.000 Schaulustigen und Sympathisanten angestachelt.“ –Weniger bekannt, aber ebenso erschreckend ein Anschlag von 20 Jugendlichen auf ein Leipziger Behindertenheim: „Dabei äußerten sie“, heißt es im Bericht, „zu Zeiten Hitlers habe es so etwas nicht gegeben, und wenn sie selbst behinderte Geschwister hätten, würden sie diese töten.“

Trotz zahlreicher Daten und Fakten liefert der Bericht nur vage Umrisse der sozialen und politischen Hintergründe sowie organisatorischer Verbindungen. Die Täter sind überwiegend jung, statistische Zahlen über ihre soziale Herkunft haben nur begrenzte Aussagekraft: 43 Prozent sind Schüler, Studenten, Auszubildende, 31 Prozent Facharbeiter und Handwerker, ein Prozent ungelernte Arbeiter, neun Prozent Arbeitslose. 14 Prozent der bekannten Täter hatten bereits eine rechtsextremistische, gewalttätige Vergangenheit. Eine „zentrale Steuerung“ der Ausschreitungen nimmt der Verfassungsschutz dennoch nicht an, obgleich einige Anschläge „planmäßig“ vorbereitet worden seien.

Repression könne bestenfalls die „halbe Antwort“ auf diese Entwicklung sein, erklärte gestern der Bundesinnenminister und wies auf den „begrenzten Leistungsrahmen“ der Politik hin. Kanther wiederholte die bekannten Vorschläge der Unionsfraktion: beschleunigte Strafverfahren, ausgedehnte Abhörmöglichkeiten für den Verfassungsschutz, Wiederaufnahme des Tatbestandes „Landfriedensbruch“. Der Minister sieht „sehr viele Wurzeln“ für die zunehmende Gewaltbereitschaft: Arbeitslosigkeit, wegfallende Freizeitmöglichkeiten, nachlassende Bindungskraft der Familie, nicht wahrgenommener Erziehungsauftrag der Schule, die Gewalt in den Medien. Darüber, ob die Bundesregierung weitere Verbote von rechtsextremistischen Organisationen plant, namentlich der FAP, verweigerte er nähere Erklärungen. „Über Organisationsverbote schwadroniert man nicht.“

Eben das warfen die Sozialdemokraten dem Innenminister vor. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anke Fuchs verlangte eine Umkehr von der „Politik der sozialen Kälte“ und forderte „endlich auch die erforderlichen Organisationsverbote“. tib