Bei Aids-Toten endet die Pietät

■ Hamburger Bestatter weigerte sich, Leiche aufzubahren / Niemand kennt die von ihm zur Begrüdnung genannte Verordnung     Von Sannah Koch

Unwissenheit, Unehrlichkeit, Vorurteile oder alles zusammen? Ein Hamburger Bestattungsunternehmen weigerte sich in der vergangenen Woche, einen Aids-Toten anzukleiden und aufzubahren. Begründung: Es gebe eine gesetzliche Vorschrift, nach der diese Verstorbenen in Folie eingeschweißt werden müßten und nicht aufgebahrt werden dürften. Doch die Vorschrift ist weder bei der Hamburger Leitstelle Aids noch beim Landesverband des Bestattungsgewerbes bekannt.

Der 36jährige Klaus Müller (Name geändert) war am Dienstag im AK Altona gestorben. Seine Frau Gabi bestellte einen Bestatter. „Seine erste Frage, woran mein Mann denn gestorben sei“ – Gabi Müller antwortete ehrlich. Aber als sie wissen wollte, wo die Familie, die aus dem Ausland zur Trauerfeier angereist komme, den Toten noch einmal sehen könne, habe die Antwort gelautet: „Gar nicht, Aids-Tote dürfen wir nicht aufbahren, das regelt seit zweieinhalb Jahren ein Gesetz“. Auch in der Klinik gebe es für Aids-Tote keine Besuchshalle, so die Auskunft des Unternehmers. Gabi Müller war geschockt, ein trifftiger Grund dafür wollte ihr nicht einfallen. Doch angesichts der vermeintlichen Gesetzeslage unterschrieb den Vertrag mit dem Bestatter zu dessen Bedingungen. Auch ohne Aufbahrung kostet die Trauerfeier immerhin 5.200 Mark.

Anschließend setzte sie sich ans Telefon. Und bekam die Auskunft, daß ihr Mann selbstverständlich in der Klinik aufgebahrt werden könnte. Eine Stelle, die ihr die Existenz der angeblichen Verordnung bestätigen konnte, fand sie nicht. Daraufhin rief sie erneut bei dem Bestatter an. Die Angstellte am Telefon, so Gabi Müllers Schilderung, sei auf ihre konkreten Nachfragen ins Stottern gekommen. Und dann der entlarvende Satz: „Ihr Mann war doch hochgradig Aids-krank. Wer soll ihn denn ankleiden, das ist doch niemandem zuzumuten.“

„Wenn das stimmt, ist das ein Skandal“, so die Reaktion von Heide Vogt, Leiterin der Leitstelle Aids. Doch Vorbehalte von Bestattern seien nicht selten. „Wir haben mehrfach Fortbildungen angeboten, aber unserer Bemühungen fruchteten wenig“, sagt die Aidsbeauftragte.

„Es gibt für Bestatter keine verbindliche Anordnung, wie mit Aids-Toten zu verfahren ist“, so die Auskunft von Dr. Dr. Hans-Joachim Widmann, Geschäftsführer beim Landesverband der Bestattungunternehmen. Und: „Mir sind keine Übertragungsfälle aufgrund bloßer Berührung bekannt.“ Allerdings habe er zu diesem Problemgebiet bislang von noch keiner offiziellen Stelle verbindliche Äußerungen bekommen.

Gabi Müller schaltete inzwischen einen Rechtsanwalt ein. Bei der heutigen Trauerfeier dürfen die Angehörigen nun doch eine Stunde am offenen Sarg Abschied nehmen. Allerdings mit verordneter Distanz – hinter einer Kordel, die vor dem Sarg gespannt sein wird.