Nebensachen aus Washington: Schlümpfe kennen keine Klassen
■ Im Vergnügungspark: Wie klein AmerikanerInnen eigentlich sein möchten
Spätestens nach einem Jahr in den USA sollte man überprüfen, inwieweit man den Gewohnheiten des Gastlandes verfallen ist, über die man sich am Anfang so gern lustig gemacht hat. Das gebietet die Fairneß. Außerdem sagt es einiges über die eigene Assimilationsbereitschaft aus. Im Rahmen dieses Reifeprozesses, sagt meine Freundin Clarice, gibt es mehrere Initiationsrituale. Zum Beispiel das Einkaufen in einer amerikanischen Shopping Mall, in der der Mensch erst richtig merkt, wie klein und nichtig er im Verhältnis zur Ware ist; einen Überlandtrip in einem Greyhound-Bus, bei dem der Mensch erst richtig merkt, wie klein und nichtig er im Verhältnis zu diesem Land ist; und, last, not least, einen Tag im Vergnügungspark, an dem der Mensch erst so richtig merkt, wie klein er eigentlich sein möchte. Die Amerikaner, so habe ich im Vergnügungspark herausgefunden, haben eine kollektive Aversion gegen das Erwachsenwerden. Clarice bestreitet diese These und meint, ich wolle mit dieser Rudimentärsoziologie nur davon ablenken, daß ich mich köstlich amüsiert habe. Im Vergnügungspark.
Nein, es war nicht Disneyland. „Nur“ King's Dominion, eine Freizeit-Auffangstation am Highway 95 südlich von Washington, deren Parkplatz man leicht aus dem Fenster einer Nasa-Raumfähre erkennen müßte. Da pilgern sie an den Wochenenden zu Tausenden hin, löhnen 25 Dollar Eintritt und bekommen fun, fun und noch mal fun. Wenn es sein muß, zwölf Stunden lang.
Zwischen einem künstlichen Eiffelturm, künstlichen Schweizer Almhütten und künstlichen ägyptischen Gräbern laufen schwarze Blasmusikanten in Lederhosen, mannsgroße Plüschfiguren aus Comicserien und Klingonen aus der neuen Generation von „Star Trek“ alias „Raumschiff Enterprise“ herum. Es gibt die steilsten Achterbahnen und eine Schiffschaukel, so groß wie Noahs Arche. Wenn die sich unter dem markerschütternden Gekreische ihrer Insassen endlich überschlägt, regnet es Taschentücher, Münzgeld und Sonnenbrillen. Kinder müssen warten, weil die Erwachsenen beim Kettenkarussell alle Plätze besetzen oder mit ihren durch Fast food gerundeten Hüften in der Wasserrutsche steckenbleiben. Und wenn sie nicht für Verstopfungen sorgen, dann rutschen sie noch heute.
Ich habe jedenfalls bisher noch nie einen wohlgenährten Mittvierziger gesehen, der mit Karacho und Gebrüll aus einer solchen Röhre in das Auffangbecken schoß. Klatschnaß.
Überhaupt wird viel gekreischt und gebrüllt, weil alles unheimlich great, wonderful oder fuckin' good ist. Auch die Fahrt mit der Kindereisenbahn durch den künstlichen „Smurf-Mountain“. Die ich, zugegebenermaßen, mitgemacht habe. Aber nur, weil mir vorher keiner verraten hat, daß sich im „Smurf-Mountain“ der Berg der Schlümpfe verbirgt. Da saß ich eingekeilt zwischen zumeist ausgewachsenen Männern und Frauen – alle mit Führerschein, die meisten mit High- School-Zeugnis, manche mit College-Abschluß, Leute, die zu Hause die Washington Post lesen oder auch mal zu Hemingway oder Baldwin greifen. Vielleicht sogar ein oder zwei, die schon mal Nietzsche in der Hand hatten. Nun, vereint in ein paar rotlackierten Miniwägelchen, bestaunen sie Schlümpfe beim Blumenpflücken, Schlümpfe beim Baseballspielen, Schlümpfe unterm Weihnachtsbaum. Und alles ist wieder great und wonderful. Regression ist halt wunderbar.
Weil ich nun meine Anfälligkeit für diese Art von Regression brav gestanden habe, ist Clarice milder gestimmt und läßt sich ihrerseits zur Motivforschung herab: „Der Vergnügungspark ist ein Ort der immerwährenden Unschuld. Da kann man sich von Mickey Mouse und Speedy Gonzales in den Arm nehmen lassen. Es gibt keinen Dreck und keine Autostaus, keine Kriminalität und keine Opfer und Täter, weil alle viel zu sehr damit beschäftigt sind, die nächste Achterbahn zu erwischen.“ Oder an der Wurfbude riesige Stofftiere mit fluoreszierendem Fell zu gewinnen, die jeden Erwachsenen endgültig in ein Kleinkind verwandeln. Don't worry, das Viech paßt schon auf den Beifahrersitz. Be happy. Denn der Berg der Schlümpfe kennt keine Klassengegensätze, und auf der Wasserrutsche findet noch einmal Integration von Schwarzen und Weißen statt. Und wo sonst kommt der Mensch für 25 Dollar mit einem Klingonen auf den Eiffelturm, Blasmusik inklusive? Andrea Böhm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen