PLO: Von Krise ist plötzlich keine Rede

Sitzung des Palästinensischen Exekutivkomitees endet in Harmonie / Vor Beginn der 11. Nahost- Gesprächsrunde grünes Licht für Autonomie im Gaza-Streifen und in Jericho  ■ Aus Kairo Khalil Abied

„Krise? ... Über welche Krise sprecht ihr?“ lautete die Gegenfrage von PLO-Führer Arafat an diejenigen, die von ihm wissen wollten, was er zur Behebung der Krise in seiner Organisation zu tun gedenke. So endete am Samstag abend in Tunis nach dreitägigen Beratungen die Sitzung des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation in demonstrativer Harmonie.

Von den zu Beginn der Tagung des höchsten PLO-Gremiums laut gewordenen Forderungen nach einem Rücktritt Arafats war am Ende nicht mehr die Rede. Statt dessen teilte die Sprecherin der palästinensischen Verhandlungsdelegation bei den Nahostgesprächen, Hanan Aschrawi, mit, das Komitee habe grünes Licht für eine in den letzten Wochen in Geheimverhandlungen zwischen PLO und israelischer Regierung abgesprochene Autonomie für die Palästinenser im Gaza-Streifen und in der in der Westbank gelegenen Stadt Jericho gegeben. Aschrawi und der Delegationsleiter Haider Abdel Schafi reisten gestern von Tunis nach Washington, wo am Dienstag die elfte Runde der Gespräche beginnen soll.

Arafat geht es kaum darum, die Schwierigkeiten innerhalb der PLO unter den Tisch zu kehren. Sein Zweckoptimismus ist Lebensstrategie. Solange man noch in der Lage ist, zu überleben, kann man noch nicht von Krise sprechen, ist seine Devise. Das Vierteljahrhundert, das Arafat bereits an der Spitze der PLO steht, war eine Zeit von inneren Zerreißproben und oft blutigen Kämpfen mit den arabischen Brüdern. Arafat überlebte alle.

Viele politische Beobachter hatten allerdings vor der Sitzung vermutet, daß Arafats Ende nähergerückt sei. Noch nie waren die Stimmen, die seinen Rücktritt oder fundamentale Einschränkung seiner Vollmachten forderten, so laut gewesen wie in den letzten Wochen. Diesmal waren es Leute aus Arafats eigenem Lager, die ihren Rücktritt einreichten oder zumindest damit drohten. Außerdem steht die PLO wegen ausbleibender Finanzspritzen aus den Golfländern vor dem finanziellen Zusammenbruch.

Der Hauptstreitpunkt auf der Sitzung des Exekutivkomitees war die Autonomielösung für den Gaza-Streifen und Jericho. Arafats Gegner führten an, daß ein solcher Teilrückzug von den Israelis als Erfüllung der UN-Sicherheitsrats- Resolution 242 interpretiert werden könne. Nach israelischer Interpretation verlangt die Resolution allgemein den Rückzug aus besetzten Gebieten, nach palästinensischer Lesart dagegen den Rückzug aus allen besetzten Gebieten.

Arafat seinerseits kämpfte um die Gaza-Jericho-Option, so, als gehe es um alles oder nichts. Seine Logik beschreibt ein ihm nahestehender PLO-Funktionär folgendermaßen: „Für Arafat gibt es nichts Endgültiges. Alles ist im Fluß. Nehmen wir das Beispiel der Madrider Konferenz. Damals hat die PLO die bittere Pille geschluckt, daß die palästinensischen Verhandlungsführer keine Kontakte zur PLO haben dürften. Inzwischen ist nicht nur die Verhandlungsdelegation Teil der PLO geworden, es ist in Wirklichkeit die PLO selber, die mit Israel verhandelt.“

Arafats Rechnung heißt: Hat man erst einmal den kleinen Finger, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man die ganze Hand bekommt. Außerdem glaubt er, daß, wenn erst einmal eine palästinensische Fahne über Jericho und Gaza weht und die internationale Hilfe zum Aufbau einer palästinensischen Infrastruktur fließt, sich auch die Stimmung unter den Palästinensern in den besetzten Gebieten ändern wird. Diese stehen dem Vorschlag bisher skeptisch gegenüber und fürchten, Arafat wolle sich auf ihre Kosten als Verhandlungspartner Israels profilieren.

Auch etwas Mythologie mag mitschwingen. Nach biblischer Überlieferung war Jericho die erste Stadt, die die jüdischen Stämme nach der Überquerung des Jordanflusses zerstörten und zu judaisieren versuchten. Für die Palästinenser ist Jericho die Stadt ihrer Urgroßväter. Daß gerade hier die Wiedergeburt einer palästinensischen politischen Einheit ihren Ausgangspunkt nehmen soll, ist Symbol dafür, daß die palästinensische Identität nicht aus dem Heiligen Land getilgt werden kann.

Kritik an der Gaza-Jericho-Option übten die Außenminister der „Frontstaaten“ Syrien, Libanon und Jordanien, die sich zeitgleich zur Sitzung des PLO-Exekutivkomitees in Beirut trafen. Jordanien und Syrien befürchten, daß ihr regionales Gewicht durch eine Autonomie der Palästinenser geschwächt wird. Dennoch beschlossen sie, Vertreter ihrer Staaten zu den Gesprächen nach Washington zu schicken.