Die süße Rache aus Hannover

■ Rau will auf leisen Sohlen ins Präsidialamt / Das droht ihm Gerhard Schröder zu verderben / Ratschläge werden zu Schlägen / Unterstützung auch aus CDU und FDP

Düsseldorf (taz) – „Wir wissen auch, daß Sie der nächste Bundespräsident sind.“ Tatsächlich hat der bulgarische Ministerpäsident Ljuben Berov vom Ausgang der Präsidentenkür in Deutschland keinen blassen Schimmer, aber daß er mit diesen Worten in der vergangenen Woche den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau in Sofia begrüßte, zeugt von einem gehörigen Maß an Bauernschläue. Solche Sätze gehen Johannes Rau runter wie Butter. Daß der bibelfeste Rau nichts lieber täte, als Richard von Weizsäcker im Amt zu folgen, weiß inzwischen jedes Kind.

Nur, wie stellt man das ohne eine eigene Mehrheit an? Vielleicht nach dem Drehbuch von Gerhard Schröder, der Rau unmittelbar vor dessen Abreise nach Südosteuropa per Interview ungefragt empfahl, endlich seine Kandidatur anzumelden, weil sonst eine Lähmung der SPD drohe? Ein freundschaftlicher Rat aus Hannover? Oh nein! Dieses öffentliche Drängen bewertet man in Raus Umgebung genau gegenteilig – als süße Rache des Hannoveraner Parteifreundes an Rau, weil nicht zuletzt dessen stille, aber effiziente Unterstützung von Rudolf Scharping Schröders Sturm zum Parteivorsitz stoppte. Tatsächlich macht Schröder mit seinem Vorpreschen Raus Strategie, sich als ein quasi über die Parteien schwebender Universalkanditat zu präsentieren, kaputt. Als Rau am Montag abend in Budapest von den ihn begleitenden Journalisten zu einer Bewertung des Schröder-Vorstoßes aufgefordert wird, spricht er davon, man müsse Schröder so wichtig nehmen, wie er ihn auf seiner Urlaubsinsel Spiekeroog „auch ernst genommen habe“ – also gar nicht. Zur Sache selbst sei es ihm gelungen, „drei Jahre lang zu schweigen, und das halte ich auch noch neun Monate durch“. Tatsächlich reichen seine ausweichenden Erklärungen während seiner Reise immer nur bis zum nächsten Tag. Als die Meldung der FR, Rau habe gegenüber Scharping seine Bereitschaft zur Kandidatur definitiv erklärt, und das Präsidium werde am heutigen Montag einen entsprechenden Beschluß fassen, einläuft, erklärt Rau ungewohnt eindeutig, diese Meldung sei „in beiden Teilen falsch“. So falsch wohl auch wieder nicht, denn noch während der Woche zeichnet sich ab, daß das SPD-Präsidium agieren wird – nur eine Woche später. Inzwischen scheint es so gut wie sicher, daß Rau auch dann ins Rennen gehen wird, wenn die Sicherstellung seiner Wahl in Vorabsprachen scheitern sollte. Da sich zunehmend auch Politiker aus den Reihen der CDU für Rau stark machen, scheint eine Mehrheit in der Bundesversammlung nicht mehr völlig ausgeschlossen. Während die NRW-CDU Rau fast täglich geißelt, gilt Rau dem CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Werner Münch, „als keine schlechte Wahl“. Es gehöre zur „politische Hygiene“, bei der Besetzung des Amtes nicht nach parteipolitischen Interessen zu entscheiden. Das öffentliche Bekenntnis des nordrhein-westfälischen FDP-Vorsitzenden, Jürgen Möllemann, Rau zu unterstützen, falls Genscher endgültig abwinke, wurde gestern auch vom geschäftsführenden FDP-Landesvorstand unterstützt.

Für die NRW-FDP macht dieser Beistand in jedem Fall Sinn. Sollte Rau Düsseldorf Richtung Bonn verlassen, dann stünden die Tore zu den lukrativen Ministerien endlich auch wieder den freidemokratischen Couponschneidern in Düsseldorf offen. Ohne Rau schmilzt die absolute Mehrheit der Landes-SPD bei der Landtagswahl 1995 mit Sicherheit dahin. Also Möllemann: Ran an den Speck! Walter Jakobs