Aufschlußreiches Schreiben elektrisiert BKA-Fahnder

■ Für die Autoren eines im Gepäck von Hogefeld und Grams aufgetauchten Briefes an RAF-Mitglieder im Untergrund könnte der Fund unangenehme Folgen haben

Das Schreiben umfaßt knapp anderthalb eng beschriebene Seiten, getippt in einer kursiven Schreibmaschinentype. Die Spurenauswerter des Bundeskriminalamts stöberten es im Gepäck von Birgit Hogefeld oder Wolfgang Grams auf. Für die Verfasser aus der linksradikalen Szene könnte es unangenehme Konsequenzen haben. Denn beim BKA ist man überzeugt, aus dem Bericht an im Untergrund lebende Mitglieder der RAF Rückschlüsse auf die Autoren und auf am „Postdienst“ der RAF beteiligte Briefträger ziehen zu können.

Ein führender Verfassungsschützer wertet das Papier als ersten Nachweis der – von den so Verdächtigten stets vehement bestrittenen – engen Verzahnung von RAF und linker Szene. Mehr noch: Die Fahnder glauben, in dem Papier von Ende Mai/Anfang Juni auf frühe Vorbereitungen für einen neuen Anschlag der RAF gestoßen zu sein. Allerdings, heißt es in dem Schreiben, sei „in bezug auf unser projekt z. zt. noch sehr vieles unklar. nicht die motivation, aber die genaue vorstellung davon, wie das alles laufen kann“.

Für die unter mächtigem Erfolgs- und nach Bad Kleinen auch Rehabilitationsdruck stehenden RAF-Verfolger ein klarer Fall: „projekt“ steht für Anschlag. Praktische Hilfe bei der Umsetzung dieses „projekts“ erhoffen sich die Brief-Autoren von einem mit Vornamen genannten Genossen, der ebenfalls in direktem Kontakt zur Untergrundgruppe steht. Er habe „da ja über praktisches mit einigen zu tun, die uns den weg evtl. etwas ebnen könnten“.

Routinemäßiger Austausch zwischen RAF und Szene

Ansonsten geht es in dem Schreiben weniger konspirativ zu. Ausführlich werden die RAF-Mitglieder über ein bundesweites „arbeitstreffen“ unterrichtet, an dem „ca. sieben gruppen aus ganz unterschiedlicher geschichte und erfahrung“ beteiligt gewesen seien. Ziel der Verhandlungen ist ein neues, überregionales Objekt revolutionärer Begierde mit basisdemokratischem Anspruch. Am „Aufbau einer Gegenmacht von unten“, von der RAF seit 1992 in sämtlichen Wortmeldungen stereotyp gefordert, wird hartnäckig gearbeitet – in enger Abstimmung mit den Illegalen.

Doch die Fortschritte bleiben unbefriedigend. Viele, heißt es in dem Papier, scheiterten beim Versuch, „die alten schemen und schubladen abzulegen“. Bei dem „arbeitstreffen“ trafen zudem Pragmatiker auf Theoretiker, Organisationsfetischisten auf Selbstdarsteller („einige männer, die ein bißchen arg von sich überzeugt waren“). Immerhin, man einigte sich auf weitere Verhandlungen in diesem September. Bis dahin sollten alle beteiligten Gruppen ihre Hausaufgaben gemacht und folgende „pflichtfragen“ geklärt haben:

– „welche politische strategie haltet ihr für sinnvoll?

– wie können gesellschaftliche zustände schon heute unter den bestehenden verhältnissen geändert werden?

– welche zielsetzung sollte die organisation haben, welche strukturen, wie können hierarchien verhindert werden?

– wie kann so ein prozeß laufen – zusammenwachsen oder gründungsprozeß?“

Der Brief offenbart außerdem die Existenz (und manche Details) eines routinemäßig funktionierenden Informationssystems zwischen RAF und linker Szene. Regelmäßig werden Treffs organisiert, in deren Verlauf RAF-Mitglieder von Szene-Angehörigen über den aktuellen Stand der linksradikalen Debatte unterrichtet werden.

Ob all dies den Behörden so neu ist, wie sie nun glauben erklären zu müssen, scheint jedoch nicht sicher: schließlich trieb sich Klaus Steinmetz, der V-Mann des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes, bis zur Enttarnung nach Bad Kleinen genau in diesen Kreisen herum. Nicht auszuschließen, daß er selbst sein Händchen im Spiel hatte.