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Geburtstagsgrüße per Tonband, Geschenke zu Weihnachten und jede Menge Briefe. Das Gepäck der in Bad Kleinen festgenommenen Birgit Hogefeld brachte es ans Licht: Sogar mehrere Treffen zwischen Eltern und RAF-Aktiven festigten die Familienbande. So perfekt abgekapselt, wie vom BKA zur Legitimation ihres aufgeblähten Apparates immer dargestellt , waren die Illegalen nicht. Von Gerd Rosenkranz

„Sicherheit geht vor alles“

Die konspirativen Planungen begannen im Januar vergangenen Jahres: Marianne Hogefeld unterrichtete Wolfgang Grams' Eltern in Wiesbaden über das bevorstehende Familientreffen im Untergrund. Die Nachricht, den verlorenen Sohn wiedersehen zu können, löste bei Ruth und Werner Grams „riesengroße“ Freude aus. Mitte Mai meldete Mutter Hogefeld ihrer Tochter Birgit den Abschluß der Vorbereitungen: „Ich glaube fest, daß wir soweit für da alles gut gelöst haben“. Doch dann ging in letzter Minute etwas schief. Ob staatliche Observationstrupps sich an die Fersen der Eltern geheftet hatten oder ob Marianne Hogefeld dies nur befürchtete, ist nicht klar. Jedenfalls stimmten auch die Eltern Grams dem Abbruch des konspirativen Annäherungsversuchs schweren Herzens zu. Sie sahen ein: „Sicherheit geht vor alles“.

Das Treffen wurde aufgeschoben – aber nicht aufgehoben. Beim zweiten Anlauf, im Juni 1992, klappt die Kontaktaufnahme reibungslos. Ein paar Wochen später erinnert sich Marianne Hogefeld in einem weiteren Brief an Birgit an die Stunden im Kreis der Familie: „Es war so schön und ihr habt alles so lieb gemacht“. Und, wohl als Aufmunterung an die Tochter und ihren Freund gedacht: „Ihr seht so gut aus, trotz allem was war und noch vor Euch liegt“.

Als die frustrierten RAF-Fahnder nach dem tödlichen Desaster von Bad Kleinen das Gepäck des Untergrundpaares Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams durchforsteten, wurde ihnen schlagartig klar, daß die nächste Demütigung nicht lange würde auf sich warten lassen. Jahrelang hatten Hans- Ludwig Zachert, der Chef des Bundeskriminalamts (BKA), und der Karlsruher Oberankläger, Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, gejammert, daß die perfekte Abkapselung der Untergrundgruppe Fahndungserfolge beinahe unmöglich mache. „Wie ein Geheimdienst“ sei die RAF organisiert, nirgends gebe es Spuren, so die stereotype Rechtfertigung für die seit 1986 anhaltende, totale Erfolglosigkeit der aufgeblasenen Apparate.

Und nun dies: Unter den Augen der Fahnder hatten die RAF-Aktivisten und ihre Angehörigen eine regelrechte „RAF-Post“ eingerichtet, die mindestens seit 1990 reibungslos funktionierte. 20 Briefe Marianne Hogefelds an ihre Tochter, einige Schreiben der Eltern Grams an ihren Sohn Wolfgang und sogar „Durchschläge“ von Antwortschreiben der Birgit Hogefeld an ihre Mutter stöberten die entgeisterten Fahndungsprofis in der „Habe“ der Festgenommenen auf.

Andere RAF-Eltern wurden in den regen Briefverkehr mit den Sprößlingen gezielt eingebunden. Zu Weihnachten oder an Geburtstagen gab es Geschenke, persönlich besprochene Tonbandkassetten wurden hin- und hergeschickt. Nicht nur ein Treff zwischen Eltern und Kindern festigte die Familienbande. Mindestens Mutter Hogefeld traf sich des öfteren mit Tochter Birgit, Wolfgang Grams und anderen Kommandomitgliedern zum Plausch. Darüber hinaus stießen die Asservate-Sammler des BKA auf ausführliche Schreiben aus der linksradikalen Szene, die keinen anderen Schluß zulassen, als daß sich auch hier in den letzten Jahren eine geradezu routinemäßige Kommunikationskultur entwickelt hatte (s. Beitrag unten).

Der Schriftverkehr zwischen Birgit Hogefeld und ihrer Mutter enthält eine ganz eigene, zuweilen rührende Mischung aus sehr Privatem und wechselseitiger politischer Aufmunterung. Fast alles dreht sich – in anfangs stärker, mit der Zeit immer weniger konspirativ verschlüsselter Form – um die Erklärungen der RAF, ihre Aktionen, das Schicksal der RAF-Gefangenen, die Reaktionen des Staates. Das Interesse der Tochter, möglichst viel authentische Informationen aus dem Kreis der Angehörigen und der Gefangenen selbst zu erhalten, ist allgegenwärtig. Als die Mutter, nach einem heftigen Streit in der Angehörigen-Gruppe, erwägt, nicht mehr an den Treffen teilzunehmen, ermuntert Birgit sie, weiterzumachen.

Nach der sogenannten Deeskalations-Erklärung der RAF vom 10. April 1992 wünscht sich Marianne Hogefeld, „daß ihr den begonnenen Dialog mit Erfolg weiterbringt“. Als einige Monate zuvor die Initiative des damaligen Justizministers Klaus Kinkel zur vorzeitigen Entlassung einiger Gefangener bekannt wurde, waren die Erwartungen bei Mutter Hogefeld riesig. „Es gab Freudentränen“, nach einigem Nachdenken jedoch „kamen Zweifel“. Die waren, wie sich herausstellen sollte, berechtigt. Die Kinkel-Initiative versandete bis zum Stillstand, die April- Erklärung der RAF blieb fast ein Jahr ohne jede staatliche Resonanz. Die Verbitterung bei den Angehörigen war tief, die hoffnungsfrohe Stimmung aus dem Jahr 1992 verflogen.

Ende März 1993 sprengte die RAF den Gefängnisneubau von Weiterstadt. Zwei Wochen später berichtet Marianne Hogefeld ihrer Tochter über den „Riesenjubel“, der anläßlich einer zufällig am selben Tag stattfindenden Geburtstagsfeier im Kreise der Angehörigen aufkam, als die Nachrichten über den großen Knall die Runde machten. Nur die Eltern Grams, die in die organisierte Angehörigen-Runde nicht integriert sind, finden den Weiterstadt-Anschlag „richtig schlecht“, klagt Birgit Hogefeld später gegenüber ihrer Mutter. Birgit und Wolfgang beschweren sich bei Marianne Hogefeld über die Grams-Eltern, die die „Deeskalations-Erklärung“ vom April 1992 falsch verstanden hätten, „weil sie sie falsch verstehen wollten“. Sie glauben immer noch, ärgert sich Birgit, „wir wollten jetzt unseren frieden mit diesem system machen“ – verbunden mit dem Traum, daß es für den verlorenen Sohn „irgendwann den weg zurück geben könnte“.

Dafür ergreifen die Eltern Grams in der Tat jeden Strohhalm, etwa den im vergangenen Jahr erschienenen Schmöker „Das RAF- Phantom“ (darin wird die These vertreten, es gebe die RAF überhaupt nicht mehr, tatsächlich seien seit Jahren staatliche oder kapitalistische Mörder unter dem RAF- Emblem am Werke). Vater Grams nennt das Buch noch nach Weiterstadt in einem Brief an seinen Sohn „interessant“. „Warum macht er (Vater Grams, d. Red.) das“, fragt Brigit Hogefeld ihre Mutter, „obwohl er doch genau weiß, daß das alles erlogen ist?“

Die herbe Kritik an der RAF, die der Gefangene Helmut Pohl jetzt in seinem in der taz vom 27.8. dokumentierten Brief öffentlich macht, drückt auch in der Untergrundgruppe auf die Stimmung. Anfang März 1993 beklagt Birgit Hogefeld in einem Schreiben an die Mutter den tiefen Riß, der seit einem Jahr die RAF von Teilen der Inhaftierten trennt. Das sei „kein sehr schönes kapitel“. Nicht die unterschiedlichen Meinungen seien das Problem, sondern wie manche Gefangene und Teile der linken Szene damit umgingen. Eine „produktive diskussion“ finde nicht mehr statt, vielmehr steckten „manche ihre ganze kraft“ darein, „nachzuweisen, wie blöde wir sind“. Jüngere Texte der RAF würden entstellt, ihre Mitglieder „persönlich in den dreck gezogen“. Ausdrücklich lobende Worte findet die RAF-Aktivistin für ein nachdenkliches Papier (Titel: „Gesellschaft oder Ghetto“) des RAF-Gefangenen Lutz Taufer, in dem dieser genau das empfielt, was die RAF offenbar inzwischen umzusetzen sucht: die Wiederannäherung der radikalen Linken an die Gesellschaft.

Inwieweit die RAF-Fahnder von den engen Familienbanden zwischen Hogefeld, Grams, einigen anderen Mitgliedern der Untergrundgrupe und ihren Eltern wußten, ist nicht bekannt. Hinweise allerdings gibt es. Mehrfach erwähnt Marianne Hogefeld in ihren Briefen einen „Nachbar-Fahnder“, der in ihrer unmittelbaren Wohnumgebung Quartier bezogen habe. „Offenbar“, notiert dazu das BKA – scheinheilig? – in einem vertraulichen Auswertungspapier der Hogefeld-Asservate, „offenbar wohnt ein Polizeibeamter in der Nähe von Frau Hogefeld; sie glaubt sich ,abgehört‘“. Den Abbruch des ersten Treff-Versuchs im Juni 1992 schreiben die BKA- Beamten einer möglichen „Gegenobservation“ durch die RAF oder ihr Umfeld zu. Wer wurde gegenobserviert? Hatten die Eltern Grams oder Marianne Hogefeld wirklich staatliche Fahnder im Schlepptau?

Wenige Tage vor ihrer Festnahme schrieb Birgit Hogefeld ein letztes Mal an die Mutter. Das BKA rekonstruierte das Schreiben aus dem Farbband der in einem Schließfach in Wismar deponierten Schreibmaschine. Die RAF- Aktivistin fordert darin ihre Mutter und die Angehörigen-Gruppe dringend auf, sich um den Gefangenen der französischen „Action Directe“, Georges Capriani, zu kümmern, der seit Mitte Juni in Frankreich in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt isoliert sei. Mit gleicher Post gingen offenbar „zwei gläschen marmelade“ ab, „selbst gepflückte und gemachte heidelbeer“. Ein Glas von der Tochter für die Mutter, ein zweites von Wolfgang Grams zum Geburtstag seines Vaters. Der war am 26. Juni – einen Tag bevor Wolfgang Grams in Bad Kleinen starb.

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