König Michael und die bösen Onkels Von Mathias Bröckers

Für unsere Michael-Jackson-Fans war das ein schwerer Samstagmorgen. Zwar konnten sie in aller Ruhe ausschlafen, doch als sie gegen neun Uhr zum Frühstück schlurften, war's mit der Gemütlichkeit vorbei. Aus dem Zeitungsstapel auf dem Küchenstuhl lugt ein Foto des Stars: „Oh, Michael, was ist denn das?“ — „Das ist die ,Bild‘-Zeitung, habe ich mal mitgebracht, weil es euch interessieren könnte.“ Die Experten studieren die balkengroßen Überschriften: „Michael Jackson – Das Sex-Protokoll – Wortlaut aus den Akten der Polizei – Liz Taylor tröstet den weinenden Superstar – Familie: Angst vor Selbstmord“. „Also daß er sich umbringt, glaube ich schon mal nicht.“ Schon in den Tagen zuvor hatten die Kinder die Nachrichten über die angeblichen Verfehlungen ihres Lieblings als übles Gerücht abgetan, auch gegenüber der Lehrerin, die gedroht hatte: „Wenn das stimmt, hängen wir die Michael-Jackson-Bilder in der Klasse ab.“ Und jetzt dieses „Protokoll“, dessen fettgedruckte Schmuddel-Passagen sie kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. „Das ist doch alles gelogen. Seit wann kaufen wir hier eigentlich die ,Bild‘-Zeitung? Hol doch am besten gleich noch 'ne ,BZ‘, da steht bestimmt noch mehr Unsinn drin!“

Die Tradition, den Überbringer schlechter Nachrichten für die Nachricht selbst verantwortlich zu machen, ist offenbar nicht ausgestorben. „Immerhin hat das ein Kind der Polizei zu Protokoll gegeben“, erwidere ich. „Ach, die sind doch nur neidisch auf sein Geld. Warum soll denn Michael Kinder vergewaltigen, he? Er liebt Kinder, er spendet viel Geld für sie, sein Vater hat ihn selbst oft verprügelt, so was würde er nie tun!“

So felsenfest von seiner Unschuld überzeugt scheinen auch die Fans in aller Welt: In Bangkok und Singapur, wo Jackson gerade gastiert, schnellten die Preise für Schwarzmarkt-Tickets auf astronomische Höhen, in Großbritannien sind die Verkäufe seiner Platten seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe um 20 Prozent gestiegen.

Beim Sonntags-Frühstück dann Entwarnung: Ein drehbuchschreibender Prominenten-Zahnarzt soll seinen Filius zu dem Geständnis angestiftet haben, weil Michael ein Filmprojekt abgelehnt hatte. „Siehst du, hab' ich's nicht gleich gesagt“ – die Nachricht von der finstren Erpressung wird mit Genugtuung aufgenommen, Sorge bereitet jetzt allenfalls noch die Meldung über den schlechten Gesundheitszustand des Stars. „Er sollte jetzt mal Schluß machen mit der Tournee und in Ruhe seine neue Platte aufnehmen“, lautet der Rat der Experten.

Wie immer die Wetten bei den Londoner Buchmachern stehen, an unserm Küchentisch ist die Lage eindeutig: Der King of Pop wird die Schlammschlacht überstehen. War's nicht bei Woody Allen genauso? Daß sich hinter dem genialen Kindskopf ein perverser Kinderschänder verbergen soll, war doch von Anfang an unwahrscheinlich. Auch wenn die amtlichen Protokolle und Aussagen so ähnlich klangen wie jetzt, wo dem strahlenden, asexuellen Märchenprinzen Michael ein böser, lüsterner Onkel angedichtet werden soll. Nein, nein: Wer so tanzt, kann kein schlechter Mensch sein.