Ein Leben zwischen den Fronten

Weil sich Eugeniusz von Motz 1939 in Polen aus Widerstand gegen die Nazis nicht in die deutsche „Volkstumsliste“ eintrug, soll sein Sohn aus Deutschland ausgewiesen werden  ■ Von Klaus Bachmann

Warschau/Berlin (taz) – Eugeniusz von Motz wurde 1924 im Wartheland geboren, als Sohn eines polnischen Offiziers aus dem weißrussischen Grodno, das damals zu Polen gehörte. „Wir waren eine polonisierte deutsche Familie“, sagt der alte Mann heute; er spricht ein fließendes und altmodisches Deutsch. An der Wand seiner engen Wohnung hängt die Reproduktion eines Wappens, das Karl der Fünfte der Familie „für besondere Anhänglichkeit“ verliehen hat.

Eugeniusz von Motz schildert einen Lebenslauf zwischen den Fronten: 1939, als die deutsche Wehrmacht in Warschau einmarschierte und Eugeniusz' Vater auf polnischer Seite kämpfte, weigerte sich der Sohn, die deutsche „Volkstumsliste“ zu unterschreiben: „Das wäre für mich kein Bekenntnis zum Deutschtum, sondern zu Hitler gewesen.“ Und mit dem wollten die von Motzens nie etwas zu tun haben.

Die Reaktion folgte prompt: Eugeniusz von Motz verschwand im berüchtigten Gestapo-Foltergefängnis Pawiak, dann in Auschwitz, danach in Neuengamme. 1944 gelang ihm die Flucht, mit falschen Papieren auf den Namen Sasza Lord Kipanadze lebte er eine Zeitlang ihn Berlin. Als er gefaßt wurde, unterschrieb er die Volksliste, da ihm sonst die Erschießung gedroht hätte als vermeintlicher geflohener polnischer Zwangsarbeiter. Statt dessen kam er nun nach Sachsenhausen.

Als der Krieg zu Ende war, zog von Motz ins pommersche Pirtz, heute Pyrzyce, wo er sogleich vom sowjetischen Geheimdienst ergriffen und wegen seiner Abstammung erschossen werden sollte. Sein Grab hatte er schon selbst geschaufelt, als ihn ein Offizier, dem er im Lager Deutsch beigebracht hatte, mit vorgehaltenem Revolver vor der Lynchjustiz rettete. Trotzdem kehrte Eugeniusz von Motz nach Warschau zurück, wo er erneut verhaftet wurde. Diesmal als angeblicher deutscher Spion von Polens Behörden.

Das bewegte Leben des Eugeniusz von Motz ist teilweise dokumentarisch belegt: Die Einkerkerung in Auschwitz hat ihm das Rote Kreuz anhand der KZ-Unterlagen bestätigt, als ehemaliger Zwangsarbeiter erhielt er außerdem 4.000 DM von der Stiftung „Deutsch-polnische Versöhnung“. Trotzdem ist er für die deutschen Behörden ein schlechter Deutscher: Seit sechs Jahren kämpft im bayrischen Weizenburg-Gunzenhausen sein Sohn Marek, der mit zwei Kindern und polnischer Ehefrau nach Deutschland auswandern wollte, vergebens um die Anerkennung seiner deutschen Abstammung. Der Grund: Sein Vater kann nicht nachweisen, daß er in Sachsenhausen die deutsche „Volkstumsliste“ unterschrieben hat – sie wurde dort nämlich nicht aufgefunden.

Ja, wenn Eugeniusz von Motz schon 1939 unterschrieben hätte, wenn er gar in Wehrmacht oder SS eingetreten wäre, dann könnte man seinen Sohn sofort als Deutschen anerkennen. Im letzteren Fall hätte Eugeniusz sogar Anspruch auf eine Versorgungsrente von bis zu 300 DM pro Monat. Soviel erhalten baltische SS-Freiwillige bis heute aus Deutschland, ohne daß dabei geprüft wurde, ob sie nicht vielleicht an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Und anders als in Schlesien, wo zu Kriegsende zahlreiche junge Leute nicht nur in die Wehrmacht, sondern auch in die SS zwangsrekrutiert wurden, war im Baltikum kaum einer zum Eintritt gezwungen. Dort waren SS-Einheiten auch überwiegend hinter der Front tätig, bei Massenerschießungen baltischer Juden, Kommunisten, Partisanen und Zivilisten.

Auch Helmut Pazdzior, einen Abgeordneten der deutschen Minderheit im polnischen Parlament, bringt die amtliche Doppelmoral auf die Palme. Pazdzior kämpft seit zwei Jahren für jene auf ca. 30.000 Betroffene geschätzte Zahl ehemaliger Wehrmachtsangehöriger, die nach dem Krieg in Polen geblieben sind. Viele von ihnen sind Schlesier, die sich damals nicht unbedingt mit Deutschland oder dem Nationalsozialismus identifizierten – sie wurden als vermeintliche oder tatsächliche Deutsche zwangsrekrutiert. Kriegsverbrecher, so mutmaßt Pazdzior, dürften kaum unter ihnen sein, sie wären nach dem Krieg den äußerst wachsamen Augen der polnischen Sicherheitsbehörden kaum entgangen.

Die meisten von ihnen leben heute von Renten in Höhe von umgerechnet 80 DM, ein Fünftel eines polnischen Durchschnittslohns und weniger als das soziale Minimum. Denn Deutschland zahlt Renten nur an Bezieher mit Wohnsitz in Deutschland aus, Polen dagegen honoriert nur Kombattanten, die im Zweiten Weltkrieg auf polnischer Seite kämpften. Pazdzior möchte daher, daß Deutschland zu den polnischen Minimalrenten den Differenzbetrag zu polnischen Veteranenrenten aufbezahlt, pro Person zwischen 30 und 100 DM. Eine substantielle Reaktion auf seine Forderung steht dagegen von deutscher und polnischer Seite noch aus.

Eugeniusz von Motz, dessen Sohn Marek schon mehrmals gerichtlich eine Duldung gegen Abschiebungsbescheide der deutschen Behörden durchsetzen mußte, meint verbittert: „Es kann doch nicht sein, daß Deutschland, das sich auf das Erbe des Widerstandes und des 22. Juni beruft, Kollaborateure heute mit Renten belohnt und Leute bestraft, die Opfer des Naziregimes gewesen sind und ihr Deutschtum damals nicht mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt haben.“ Doch für Deutschlands Behörden, und ganz besonders für das Landratsamt Weizenburg-Gunzenhausen, hat sich im Dritten Reich nur der zu Deutschland bekannt, der sich zu Hitler bekannt hat.

Am 5. August überreichte die Polizei Marek von Motz die offizielle Ausreiseverfügung. Jetzt soll er also wieder zurück nach Gleiwitz, wo die Beamten des Woiwodschaftsamts bei seinem letzten Besuch von seiner Frau den Nachweis verlangten, daß sie auch wirklich Polin ist. Denn er, Marek von Motz, sei ja wohl kein Pole.