Neues Gesellschaftsspiel: Warten auf Dagobert

■ Im Kinosaal der Polizei harrten Journalisten des Erpressers, der sich nicht meldete / Der Pressesprecher kämpft gegen die Sympathie für den gesuchten Bombenleger

Kommt er, oder kommt er nicht? Diese Frage beschäftigte am Montag abend einmal mehr Hamburger und Berliner Polizisten, die dem Karstadt-Erpresser „Dagobert“ auf der Spur sind. Im Kinosaal des ehemaligen Polizeipräsidiums Ostberlin warteten kaum weniger gespannt über zwanzig Pressevertreter; für den Abend hatte Dagobert einen erneuten Versuch einer Geldübergabe angekündigt, die jedoch wieder platzte.

„Das kann ein längerer Abend werden“, warnte Werner Jantosch, Pressesprecher der Hamburger Polizei, vor. Der Erpresser habe in einem Brief angekündigt, daß er sich zwischen 20 und 22 Uhr melden werde. Diese Information hielt der Pressesprecher erst mal für ausreichend und lehnte sich zurück – deutlich bemüht, einen entspannten Eindruck zu machen.

Die Journalisten taten es ihm gleich und machten es sich im Kinosaal der Kontaktstelle Alexanderplatz bequem. So recht schien keiner zu glauben, daß es zur Geldübergabe kommen würde, geschweige denn zur Festnahme. Doch sicherheitshalber hatten die Fernsehteams ihre kleinen mobilen Kameras dabei, um im Falle des Falles hinter Jantosch zum Einsatzort rasen zu können. Die Zahl der Funktelefone hätte besser zu einer Ausstellung der Telekom denn zur beinahe entspannten Stimmung im Kinosaal gepaßt.

Die jedoch wird empfindlich gestört, als Jantoschs Gerät klingelt und der Pressesprecher auf der hell erleuchteten Bühne zum Telefonhörer greift. Sofort springen die Kameraleute auf, die Radiovertreter drängeln sich mit ihren bunten Mikros um den 43jährigen, Notizblocks werden hektisch gezückt. Doch Jantosch winkt ab, keine Neuigkeiten, nur ein Testanruf, ob die Leitung steht. Enttäuscht setzen sich alle wieder hin, die ersten kramen nach einem Butterbrot. „Wo gibt's denn hier einen Kaffeeautomat?“ fragt einer. „Raus und rechts“, kommt die Antwort eines routinierten Dagobert-Erwarters. 20.25 Uhr: Wieder klingelt das Telefon, Jantosch wird ernster, der Kreis um ihn dichter. „Wir hatten einen Anruf, Genaues kann ich Ihnen nicht sagen“, sagt der Sprecher anschließend, „jetzt muß geprüft werden, ob das der Mann war, mit dem wir bisher telefoniert haben“.

Bohrende Fragen der Journalisten nach Einzelheiten wimmelt der Hamburger ab: „Ich kann Ihnen nur versprechen, daß Sie noch nichts verpassen.“ In Gesprächen tritt Jantosch vehement Sympathien für Dagobert entgegen, der die Polizei nun schon seit Juni letzten Jahres narrt. Er verweist auf drei Bomben, die der Erpresser bereits in Karstadt-Filialen zündete: „Stellen Sie sich vor, Verwandte von Ihnen wären da drin gewesen.“

Ein Journalist beginnt, Kekse zu verteilen, andere schlagen vor, beim nächsten Mal ein Gesellschaftsspiel mitzubringen. Wieder ein Anruf, wieder springen alle auf. Jantosch verläßt den Raum, um ungestört zu telefonieren, dann: „Wir prüfen weiter, noch läuft kein Einsatz.“ Fast 45 Minuten sind seit dem Anruf verstrichen, da staunt auch er über die Testdauer.

Erst nach halb zehn und einem erneuten Telefonat verkündet er, daß die „männliche Person mit hoher verstellter Stimme“ nicht Dagobert, sondern ein „Trittbrettfahrer“ war. Dieser habe die Übergabe wegen des schlechten Wetters verschieben wollen. Vermutungen machen die Runde, war es ein Polizist oder ein Komplize? Jantosch: „Wir ermitteln in alle Richtungen.“ Doch ein weiterer Anruf geht nicht ein, neue Erkenntnisse gibt es nicht. Langsam packen die Journalisten ihre Sachen zusammen, verlassen den Kinosaal: „Tschüß dann, bis zum nächsten Mal.“ Christian Arns