Ein Antikrisenprogramm für die Ukraine

■ Premier Kutschma fordert Konzentration der wirtschaftlichen Vollmachten

Warschau (taz) – Premierminister Leonid Kutschma hat die Abgeordneten des ukrainischen Parlaments erneut aufgefordert, ihm außerordentliche Vollmachten zuzugestehen. Ein entsprechender Vorstoß Kutschmas war im Mai erfolglos gescheitert. Außerdem sollen bereits im kommenden März Parlamentsneuwahlen stattfinden.

Bereits am Freitag hatte der ukrainische Regierungschef düster prophezeit, daß die nächsten Tage über die Zukunft seiner Regierung entscheiden werden. Außerdem hatte Viktor Pinsenik, für die Wirtschaftspolitik zuständiger Vizepremier, seinen Rücktritt erklärt. Der entschiedene Marktwirtschaftler und Verfechter einer antiinflationären Linie konnte nicht billigen, daß zwei Regierungsbeamte hinter seinem Rücken dem Parlament einen Gesetzentwurf über die Einführung eines stabilen Rubel- und Dollarkurses zugeleitet hatten.

Bei der Parlamentssitzung am Dienstag forderte Kutschma das Parlament nun eindringlich auf, den „wirtschaftlichen Notstand“ auszurufen und alle wirtschaftlichen Kompetenzen bei der Regierung zu konzentrieren: „Das ist eine harte Maßnahme. Wenn wir sie auf morgen verschieben, verlieren wir heute alles.“ Von der Konzeption bis zur Verwirklichung sollte daher die Regierung das einzige Zentrum der Wirtschaftspolitik sein.

Das nun vorgelegte Antikrisenprogramm, das noch von Pinsenik augearbeitet worden war, sieht unter anderem vor, daß die Nationalbank die vollständige Kontrolle über die Geldmenge haben soll. Bisher wurden Kredite auch von privaten Banken, dem Parlament und der Verwaltung des Präsidenten verteilt. Nun sollen die Privatbanken Anteile an einem festgelegten Kreditrahmen ersteigern. Dagegen hatte Pinsenik gegen den von Kutschma forcierten Plan eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes mit Weißrußland und Rußland votiert. Angesichts der in die Tausende Prozent gehenden ukrainischen Inflation würde die Einführung eines festen Rubelkurses zum völligen Zusammenbruch der ukrainischen Exporte nach Rußland und in den Westen führen. Hinzu kommt, daß die Ukraine auch nicht über ausreichende Devisenreserven verfügt, um einen solchen Kurs auch erfolgreich halten zu können.

Selbst wenn das Parlament sich nun erstmals durchringen sollte, Kutschma Sondervollmachten zu erteilen und damit auch die Macht des Präsidenten zu seinen Gunsten zu beschränken, bedeutet dies kein Ende der dauernden Staatskrise. Nach einer Parlamentsentscheidung von letzter Woche sollen ab 1. September die Preise für Lebensmittel, Energie und öffentliche Transportmittel steigen. Der Brotpreis wird verfünffacht, die Mindestlöhne dagegen nur auf 40.000 Karbowanzy (cirka 7 DM) verdoppelt. Diese Preiserhöhungen waren notwendig geworden, nachdem das Parlament im Juni nach ausgedehnten Bergarbeiterstreiks die Löhne erhöht, dies aber nur über den Druck neuer Banknoten finanziert hatte. Die Streikenden hatten dabei auch ein Referendum über die Zukunft des Parlaments und von Präsident Krawtschuk durchgesetzt, dessen Durchführung aber seither vom Parlament boykottiert wird. Die Bergarbeiter haben darauf am Montag mit einem Neubeginn der Streikwelle gedroht, die ukrainischen Gewerkschaften haben bereits begonnen, Unterschriften für den Volksentscheid zu sammeln.

Der größte Teil der Abgeordneten, die der Nationalbewegung „Ruch“ entstammen, tritt inzwischen für eine Auflösung des Parlaments ein, unterstützt aber weiter den Präsidenten. Ein entsprechender Antrag im Parlament, das Referendum abzusetzen und im März kommenden Jahres Neuwahlen zum Parlament auszuschreiben, wurde abgelehnt. Die Mehrheiten im Kiewer Parlament sind völlig unberechenbar, da nach der Auflösung der ukrainischen KP infolge des Moskauer Putsches 1991 die Mehrheit der Abgeordneten parteilos ist. Die Befürworter einer radikalen Wirtschaftsreform sind im Parlament in der Minderheit. Klaus Bachmann