Entsetzen nach Blutbad in Brasilien

■ 24 Menschen in Elendsviertel von Polizisten erschossen

Rio de Janeiro (AFP) – Rund einen Monat nach dem Mord an acht Straßenkindern hat der Überfall auf ein Elendsviertel in Rio de Janeiro, bei dem am Montag morgen 24 Zivilisten getötet worden waren, die Auseinandersetzung um die zunehmende Gewalt in Brasilien erneut angeheizt. Der sozialistische Gouverneur des Bundesstaates Rio de Janeiro, Leonel Brizola, sprach am Montag abend von einem „unzulässigen Racheakt“ durch Militärpolizisten, die mit dem kaltblütigen Überfall vermutlich auf den Tod von vier Kollegen reagierten, die am Vortag in dem Viertel von rund 20 Drogenhändlern erschossen worden waren. Brizola kündigte eine Untersuchung des Vorfalls an, bei dem unbeteiligte Passanten und Augenzeugenberichten zufolge auch 14 Menschen im Schlaf niedergeschossen worden waren.

„Sie haben Arbeiter und anständige Familien ermordet“, klagte der 63jährige Leonel Alves de Azeve in dem Armenviertel Vigario Geral im Norden der Stadt an. Für ihn wie für die übrigen Bewohner der Elendshütten stand am Montag fest, daß es sich um eine Vergeltungsaktion der Militärpolizei gehandelt haben mußte. Mehrere maskierte Männer waren am Morgen in das Viertel eingedrungen und hatten wahllos um sich geschossen. Daraufhin errichteten die Einwohner Barrikaden in den wichtigsten Straßen und blockierten den örtlichen Zugverkehr.

Mitglieder des brasilianischen Parlaments reagierten am Montag abend in Brasilia schockiert auf den neuerlichen Gewaltausbruch in Rio de Janeiro. Der konservative Abgeordnete Amaral Netto von der Reformistischen Progressistischen Partei (PPR) bezeichnete die Situation als „Bürgerkrieg“. „Zahlreiche Massaker“ und ein „Heer von Verbrechern“ machten deutlich, daß endlich gegen die Gewalt in Rio de Janeiro vorgegangen werden müßte. Die kommunistische Abgeordnete Jandira Fenghlhi forderte deshalb ein Treffen aller politischen Parteien des Landes, um über Maßnahmen gegen die Gewalt nachzudenken.

Andere Parlamentarier verteidigten hingegen das Vorgehen der Militärpolizei, die im Kampf gegen den Drogenhandel oft hart vorgehen müsse. Das Viertel Vigario Geral gilt als wichtiger Umschlagplatz für Rauschgift in Rio de Janeiro, wo Drogenhändler oft über modernere Waffen als die Polizei verfügen. Nur selten wagen sich die Polizisten in die berüchtigten Stadtteile, in denen das Gesetz der Drogenhändler gilt.