: Alte Frauen für die Autokonjunktur
Der Mineralölkonzern Shell veröffentlicht eine neue Prognose zur Mobilität bis zum Jahr 2020 / Senioren und Frauen sorgen für steigende PKW-Zahlen / Kaum Alternativen zum Auto ■ Von Bettina Fink
Berlin (taz) – Die Branchenvertreter bei der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt haben ab 9. September wieder allen Grund zum Jubeln. Glaubt man den Prognosen der gestern erschienenen Shell-Studie zur Mobilisierung in Deutschland, springt die Autokonjunktur 1994 wieder an. Und bis zum Jahr 2020 ist mit bis zu 52 Millionen PKWs auf Deutschlands Straßen zu rechnen. Das sind zwölf Millionen mehr als heute. Ausschlaggebend für diese Steigerungen werden laut Shell vor allem die autogewöhnten „Senioren der Zukunft“ und immer mehr automobile Frauen sein.
In zwei Szenarien haben sich die Mobilitätsforscher an die vierrädrige Zukunft herangetastet. Das Szenario „Neue Horizonte“ geht von einem jährlich um durchschnittlich 2,6 Prozent steigenden Bruttosozialprodukt aus. Es setzt auf eine Umwelt- und Verkehrspolitik nach „marktwirtschaftlichen Prinzipien“ und eine Bevölkerungszahl im Jahre 2010 von 87 Millionen Menschen.
Wie ein ökologisches Horrorszenario lesen sich die Abschätzungen: Von 1.000 EinwohnerInnen, ob Kind oder Greisin, werden statistisch gesehen 700 im Besitz eines Autos sein. Unterschiede zwischen Ost und West verschwinden nach der Jahrtausendwende. Das Auto der Zukunft wird mit 5,2 Litern Verbrauch durch die Straßen rasen. Jedes Jahr haben die Behörden 3,5 Millionen Neuzulassungsanträge für Automobile zu bearbeiten.
Unheilige Ruhe herrscht hingegen im Bereich der Alternativ-Gefährte, wie Solar- und andere Elektroautos: Bei etwa zwei Prozent Marktanteil werden sie wohl kaum ausreichend zur Entlastung der geschädigten Landschaften beitragen können.
Nicht viel anders die Ergebnisse im zweiten Szenario „Fallende Barrieren“: Ein schwächeres Wirtschaftswachstum sowie eine an Ge- und Verboten orientierte Umwelt- und Verkehrspolitik lassen Besitz und Nutzung des PKWs zwar weniger attraktiv werden. Dennoch ist auch hier das private Auto Hauptverkehrsmittel der Deutschen: 670 Autos pro 1.000 Einwohner verbrauchen eine beachtliche Menge Treibstoff. Der Durchschnitt wird bei 4,6 Litern pro Wagen liegen. Und auch im Szenario der fallenden Barrikaden tummeln sich Alternativen allenfalls am Rande der Autobahnen und des Automarkts. Ihr Anteil liegt um ein einziges Prozent höher als beim Szenario der „Neuen Horizonte“.
Dem Vereinigungsboom in der Automobilbranche mit einer „nie dagewesenen Motorisierungswelle“ im Jahr 1991 wird zwar kein zweiter folgen. Der Ausgleich zwischen Ost und West kann dennoch in den nächsten zehn bis 15 Jahren für volle Kassen der Automobilhersteller sorgen – sofern sie der Kundschaft Klein- oder Mittelklassewagen anbieten.
Bis zum besagten Jahre 2010 wird es aber nicht nur sehr viel mehr, sondern auch „differenziertere“ Fahrzeuge auf dem Automarkt geben. Cabriolets und Stadtautos werden ergänzt durch eine erschreckende Palette Fun-Cars, Pick-Ups und Off-Roader, die wirksam umworbene Bedürfnisse befriedigen. Zweit- und Drittwagen könnten laut Shell nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein.
Der wunderbaren Autozukunft steht beim Blick auf die Shell-Szenarien so gut wie nichts im Wege. Es sei denn, die Verkehrspolitik läßt sich diesmal weniger von solchen Prognosen beeindrucken als bei den vorangegangenen Shell- Studien. Denn traditionell haben Verkehrspolitiker bisher ausgerechnet aus den Prognosen des Mineralölkonzerns über die Zunahme des Individualverkehrs ihre Argumente für den forcierten Straßenbau gezogen. Obwohl kritische Verkehrsexperten ihnen schon lange mit Zahlen und Daten bewiesen haben, daß jede neue Straße die für ihr Gebiet prognostizierte Zunahme des Autoverkehrs erst im nachhinein bewirkt hat.
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