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Gastgeschenk läßt General im Regen stehen

Dokumente aus Moskau widerlegen Ex-General Jaruzelskis Version, nach der er im Dezember 1981 das Kriegsrecht über Polen nur verhängt habe, um einem sowjetischen Einmarsch zuvorzukommen.

Kaum saß Boris Jelzin im Flugzeug, das ihn am Donnerstag letzter Woche von Warschau nach Prag brachte, da flatterte Polens Zeitungslesern bereits die Sensation ins Haus. Die Tageszeitung Rzeczpospolita brachte am Freitag einen Teilabdruck der wichtigsten Dokumente der „Suslow-Kommission“, die der russische Präsident seinem Amtskollegen Lech Walesa mitgebracht hatte. Die „Suslow“-Kommission beschäftigte sich in den achtziger Jahren mit der Lage in Polen. Polens Präsident Walesa hatte um die Dokumente gebeten, weil sich Polens Historiker davon Aufschluß darüber erhoffen, ob die Sowjets 1981 tatsächlich eine militärische Intervention in Polen planten und ob General Jaruzelskis Behauptung, die Verhängung des Kriegsrechts 1981 habe Polen vor einem Einmarsch sowjetischer Truppen bewahrt, der Wahrheit entspricht.

Kaum waren die Dokumente übersetzt, war die Katze aus dem Sack: „Jaruzelski wollte 1981 sowjetische Intervention“, titelte die Warschauer Tageszeitung Zycie Warszawy. Das damalige Verhalten des Generals erfülle alle Kriterien des Hochverrats, kommentierte das Blatt auf der ersten Seite. Ein schwerer Vorwurf, denn ein Untersuchungsausschuß des polnischen Sejm berät schon seit Monaten darüber, ob der Ex-General und spätere Präsident aus diesem Grund vor das Staatstribunal gehört. Jetzt hat er neue Munition.

Über die Pläne zur Einführung des Kriegsrechts in Polen waren die Mitglieder des sowjetischen Politbüros bereits informiert, als sie am 10. Dezember 1981 zusammentraten, um über die neueste Entwicklung in Polen zu beraten. Unsicherheit herrschte nur darüber, wann die polnische Führung ihre Pläne verwirklichen würde – und ob überhaupt. Der damalige Außenminister Andrej Gromyko schlug vor, die Einführung des Kriegsrechts, so sie erfolge, nach außen hin „mit Verständnis aufzunehmen. „Zugleich müssen wir uns bemühen, die Position General Jaruzelskis und anderer polnischer Führer in bezug auf einen militärischen Einmarsch zu besänftigen. Von einem Einmarsch in Polen kann überhaupt keine Rede sein.“ Jaruzelski, so ein anderes Mitglied, habe offenbar eine Äußerung des Oberkommandierenden der Roten Armee, Marschall Kulikov, mißverstanden, der davon gesprochen hatte, die Sowjetunion werde das sozialistische Polen „nicht im Stich lassen“. Jurij Andropov, damals Chef des KGB: „Wir können kein Risiko eingehen. Wir werden in Polen nicht einmarschieren.“ Andropov fürchtete im Falle eines Einmarsches vor allem Sanktionen des Westens.

So eindeutig diese Äußerungen auch klingen, sie werden umgehend durch andere wieder relativiert. Denn auf der gleichen Sitzung sprach Andropov davon, daß er „auf dem Standpunkt internationalistischer Hilfe“ stehe – ein Standpunkt, der seit 1956, als Andropov als Botschafter in Budapest die dortige Intervention vorbereitete, an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrigließ. Michail Suslow, der Chef der gleichnamigen Kommission, dagegen war der Auffassung, Jaruzelskis Bitten um Intervention seien nur ein Vorwand, um eine wirkliche Entscheidung hinauszuzögern und hinterher den Schwarzen Peter den Sowjets zuzuschieben: „Jaruzelski will sich nur ein Alibi verschaffen.“ Die Genossen hatten den General von Anfang an im Verdacht, daß er vor allem auf Zeitgewinn setze.

Das bestreitet Jaruzelski heute auch gar nicht. Schließlich sei er damals von zwei Seiten unter Druck geraten, sagte der Ex-General in einem Gespräch mit Journalisten am Montag nachmittag in Warschau; den Worten der Suslow-Kommission hätten die Taten der sowjetischen Geheimdienste und der Armee widersprochen: „Wir richteten uns nach Taten, nicht nach Worten.“ Und die Taten hätten an den feindseligen Absichten der sowjetischen Führung keinen Zweifel gelassen: „Wir wußten um die Kampfbereitschaft der in Polen stationierten sowjetischen Truppen. Wir wußten, daß sie eine Luftbrücke vorbereitet hatten, daß hier Spezialeinheiten für Bürgerkriegssituationen und Luftlandetruppen lagen, daß die Sowjets Spitäler geräumt hatten und vermehrt Reservisten mit polnischen Sprachkenntnissen einzogen“, so Jaruzelski.

Auch die polnische Zeithistorikerin Krystyna Kersten ist nicht der Ansicht, daß man aufgrund der Suslow-Protokolle auf die wahren Absichten Jaruzelskis schließen könne. Dafür seien sie zu widersprüchlich. So fühlt sich jede Seite von Jelzins Gastgeschenk für Lech Walesa bestätigt: Polens Rechte, die von jeher der Ansicht ist, Jaruzelski gehöre als Hochverräter vor Gericht. Aber auch Jaruzelski selbst, der an seiner Ansicht festhält, der im Dezember 1981 verhängte Ausnahmezustand habe Polen vor einer Intervention bewahrt. „Selbst wenn die Sowjets Ende 1981 nicht vorhatten, militärisch zu intervenieren, so hätten sie diese Ansicht jederzeit ändern oder uns einfach den Gashahn zudrehen können.“ So oder so sei der Ausnahmezustand unvermeidlich gewesen, „denn beide Seiten, Solidarność und wir, waren einfach nicht reif genug für einen wirklichen Dialog“.

So verließen in der Nacht zum 13. Dezember 1981 1.800 Panzer und 3.000 gepanzerte Fahrzeuge die Kasernen, eine Machtdemonstration, die nicht nur die Opposition ruhigstellen sollte: „Viele dieser Einheiten haben wir gar nicht demonstrativ aufgestellt, sondern in den Wäldern versteckt. Auch für die Nachbarn im Osten sollte das ein Signal sein“, erklärte der Ex- General gegenüber der taz. Er habe gehofft, daß die Historiker eines Tages über seine Taten richten würden, meinte er resigniert. Doch nun werden die Suslow-Protokolle eher als Beweismaterial für den Untersuchungsausschuß dienen, wenn Polens Sejm nach den kommenden Wahlen seine Arbeit wieder aufnimmt. Weswegen der Mann mit der dunklen Brille inzwischen jedes Wort genau abwägt. Klaus Bachmann, Warschau

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