Die Umweltpolitik gerät unter Druck

■ Umweltsenator Fritz Vahrenholt äußert sich im taz-Gespräch zum Atomausstieg, zur Müllpolitik und zur Zukunft der Umweltpolitik in einer wachsenden Stadt: „Energiepreise müssen 20 Jahre lang um jeweils fünf Prozent steigen“

taz: Herr Vahrenholt, in den beiden vergangenen Jahren haben Sie nach eigenem Bekunden keine neuen großen Projekte in Angriff genommen. Eine wenig innovative Umweltpolitik.

Vahrenholt: Im ersten Jahr meiner Amtszeit wurden die neuen Projekte vorgestellt, im zweiten und dritten durchgeführt. Und das Umsetzen finde ich sehr innovativ. Wir haben seit Anfang der Legislaturperiode viel erreicht: Laut Geo sind wir heute die „Wassersparstadt Nummer 1“. In der Landwirtschaft ist es uns gelungen, 20 Prozent der Flächen zu extensivieren. Und allein in diesem Jahr haben wir 10 Quadratkilometer Naturschutzgebiete dazubekommen.

Welche neuen Aktivitäten erwarten uns in der kommenden Legislaturperiode?

Ich will aus Schönberg raus und die flächendeckende Kompostierung einführen. Ich möchte eine gesetzliche Grundlage für den Wohnungswasserzähler im Altbestand schaffen. Allein die getrennte Kosten-Abrechnung bringt Wasser-Einsparungen von rund 15 Prozent.

„Wir brauchen den 'Ranger' im Naturschutzgebiet“

Hinzu kommt ein Klimaschutzgesetz, das ich auf den Weg bringen will. Ein weiterer Punkt: Wir brauchen den „Ranger“ im Naturschutzgebiet, und die Naturschutzverbände sind bereit diese Aufgaben wahrzunehmen, damit Umweltfrevlern das Handwerk gelegt werden kann. Außerdem werde ich die Herauslösung von Stadtentwässerung und Stadtreinigung aus der Umweltbehörde und ihre Überführung in eine moderne Unternehmensform vorantreiben.

Gegen diese Aktivitäten steht z.B. die Natur-Vernichtung durch den Wohnungsbau.

Die Wohnungsnot muß gelöst werden, aber auf ökologische Art und Weise. Im Neubaugebiet Kirchdorf-Mitte, das zu 40 Prozent grün bleibt, versuchen wir etwa, die vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten zu erhalten, indem wir eine Naturschutz-Insel bauen, mitten in einer besiedelten Gartenstadt. Ähnliches passiert in Bergstedt und Allermöhe. Ich behaupte: Die ökologische Qualität einer Maisfläche ist sehr viel geringer, als die eines durchgrünten Wohnungsgebietes.

Zur vierten Elbtunnelröhre und zur Hafenerweiterung haben Sie kaum Kritik geäußert.

Durch die Öffnung der Süderelbe als Ausgleich für die geplante Hafenerweiterung, wird die ökologische Bilanz nicht verschlechtert. Und wenn Schweden an Dänemark angeschlossen wird, können sie das Verkehrsproblem nicht lösen, indem sie einen Stau vorm Elbtunnel produzieren...

.. sondern?

... sondern nur dadurch, das Autofahren spürbar teurer wird als die Bahn. Nur wenn der Liter Benzin 2,50 Mark kostet, werden sich die Leute überlegen, ob sie mit dem Auto zum Briefkasten fahren.

Henning Voscherau betont im Wahlkampf unentwegt, daß die Konflikte zwischen Verkehr, Ökonomie und Wohnungsbau auf der einen und der Ökologie auf der anderen Seite in Zukunft im Zweifel zuungunsten der Ökologie aufgelöst werden sollen. Wird Ihnen da nicht Angst und Bange vor einer absoluten Mehrheit?

Der Spitzenkandidat muß die Bürger da abholen, wo ihre Interessen sind. Da stehen Wohnungnot und Arbeitslosigkeit ganz oben. Umweltpolitik gerät in einer wachsenden Stadt natürlich unter Druck. Doch ich bin bislang mit meiner Politik nicht hinten runter gefallen und das wird so bleiben.

Sie wollen aus dem Atomstrom raus, mehr Müll verbrennen und eine Reduzierung der Autoabgase ist nicht in Sicht. Gleichzeitig hat sich Hamburg im Klimabündnis verpflichtet, die CO2-Werte bis 2010 zu halbieren. Wie soll das funktionieren?

Das klappt nur, wenn Energie deutlich teurer wird, so daß sich sparen und das Umsteigen auf regenerative Energieträger wirklich lohnt. Die Energiepreise müssen 20 Jahre lang jedes Jahr um real 5 Prozent steigen. Die Industrie und das Gewerbe könnten sich darauf mit ihren Investitionen langsam einstellen. Wenn wir alles so weitertreiben lassen und Ende des Jahrzehnts die Klimaveränderung spürbar wird, aber werden drastische Eingriffe erforderlich. Deshalb müssen wir heute handeln. Der Bund aber hat sich z. B. aus den Fernwärme-Förderungsprogrammen zurückgezogen.

Auch hier hat Bonn wieder die Alleinschuld?

Hamburg hat als einziges Bundesland eine Wärmeschutzverordnung, wir haben in zwei Jahren 25.000 Haushalte an die Fernwärme angeschlossen und fünf Blockheizkraftwerke gebaut, 200 Megawatt Nachtspeicher-Heizungen vom Netz genommen und sind jetzt dabei, den Import norwegischer Wasserkraft unter Dach und Fach zu bringen. Daneben verhandle ich mit Island über die Nutzung des dortigen Wasserkraftpotentials.

Ex-Bürgermeister Dohnanyi hat 1986 den Ausstieg Hamburgs aus der Atomkraft bis 1996 versprochen. Wie lautet Ihr Ausstiegs-Versprechen?

Ich gehe mit dem Versprechen in die Wahl, daß wir vor allem durch

Mit Norwegen-Strom aus Brunsbüttel raus

das norwegische Wasserkraftprojekt versuchen, 20 Prozent des Hamburger Stroms aus regenerativen Quellen zu haben. Damit wird die Voraussetzung geschaffen, daß eines der AKWs Anfang des kommenden Jahrzehnts vom Netz geht.

Die HEW ist anderer Meinung. Vorstandsmitglied Manfred Timm betont, daß durch den Norwegen-Vertrag kein einziges Kraftwerk abgeschaltet werden kann.

Was immer Herrn Timm zugeschrieben wird, ich sage ganz klar: Es ist mit der geänderten HEW-Satzung unvereinbar, daß wir Hunderte Megawatt Strom aus Norwegen beziehen und gleichzeitig alle Kernkraftwerke weiterbetreiben. Bis 2005 geht Brunsbrüttel vom Netz – das ist eine realistische Perspektive. Wer kurzfristiger aussteigen will, muß Kohlekraftparks bauen. Keine sehr vernünftige Klimapolitik.

Es ist auch keine vernünftige Klimapolitik, auf Müllverbrennung zu setzen.

Bei konsequenter Anwendung der Kraftwärmekopplung ist die Verbrennung fast klimaneutral. Im Müll sind die Schadstoffe der Chemiepolitik von 40 Jahren. Die müssen ausgeschleust werden, statt sie der nächsten Generation zu überlassen. Wir sind technologisch heute so weit, daß die Müllverbrennungsanlage von einer Dioxinschleuder zu einer Dioxinsenke geworden ist - zu einem wirklichen Entgiftungsapparat. Ich bin deshalb davon überzeugt, daß Verbrennung weitaus vernünftiger ist, als den Abfall in Schönberg zu deponieren.

Vermeiden statt Verbrennen fordern nicht nur die Grünen. Doch hier hängt Hamburg weit hinter den eigenen Zielvorgaben zurück.

Die Prognosen des Abfallwirtschaftsplans sahen in der Tat eine stärkere Müll-Absenkung vor, als wir erreicht haben. Das aber unter der Voraussetzung vernünftiger Pfand-Verordnungen, die Bonn nicht eingeführt hat.

Statt dessen gibt es den Grünen Punkt, den Sie ja heftig kritisieren. Trotzdem sprechen Sie sich gegen einen Boykott aus.

Ein Boykott wäre dem ja gerade mal wieder akut von der Pleite bedrohten Dualen System (DSD) höchst willkommen. Je weniger Grüne-Punkt-Verpackungen da ankommen, umso mehr klingelt die Kasse. Dann lieber die nicht verwertbaren Verpackungen rein in die Gelben Säcke, um die Unfähigkeit des Systems zu dokumentieren.

Sie haben im Juni dem DSD mit der Aufhebung der Freistellungserklärung für Kunststoffe gedroht, weil sich bei den Müllsortierern die nicht abgefahrenen Plastikberge stapelten. Die Geschäfte hätten dann die gebrauchten Verpackungen zurücknehmen müssen. Doch Ernst haben Sie nicht gemacht.

Warten Sie's ab. Wenn die Verpackungsverordnung nicht eingehalten wird, zögere ich keine Sekunde. Aber ich wüßte dabei auch, daß der Grüne Punkt dadurch sogar überlebensfähiger wird. Das Ergebnis würde sein: Nur noch 10 Prozent der Verpackungen landen in den Geschäften, das Duale System holt sie dort ab und freut sich, daß 90 Prozent woanders landen. Die Lösung des Problems kann nur darin liegen, daß der Grüne Punkt eine vom Bundesumweltamt verliehene Auszeichnung wird: Diese Verpackung ist umweltfreundlich verwertbar. Vor allem aber brauchen wir eine Verpackungssteuer um die Flut nicht verwendbarer Verpackungen einzudämmen.

Laut Umweltminister Töpfer wirken die Lizenzgebühren bereits heute wie eine Steuer. Die Verpackungs-Produktion hat sich deswegen 1992 erstmals verringert.

Eine Mogelpackung. Bis 1991 wurden die neuen Bundesländer mit Einwegverpackungen überschwemmt, dann haben auch hier die Mehrwegsysteme Einzug gehalten. Das hat Töpfer dem Grünen

Müllverbrennungsanlage als Entgiftungsapparat

Punkt gutgeschrieben. Nur langfristig kann die Lizenzgebühr wie eine Steuer wirken: wenn die Kosten bei kaum verwertbaren Verpackungsmaterialien steigen. Aber über langfristige Perspektiven muß man derzeit wohl nicht reden. DSD steht ja mittlerweile alle paar Wochen vor dem Aus. Und in der Zwischenzeit wird durch dieses unausgereifte System mehr Umweltbewußtsein zerstört, als sich je wieder kitten läßt.

Die SPD braucht nach der Wahl einen Koalitionspartner. Wer wäre für die Umwelt der beste?

Ich kann mit allen Parteien An-knüpfungspunkte finden: Mit der CDU bei der Neubewertung der Müllverbrennung, mit den Liberalen bei der Verbandsklage, mit der GAL bei der flächendeckenden Kompostierung. Aber: mit Schwarz gibt's Probleme bei der Kernenergie und der Landwirtschaft, Gelb hat sein Herz an das Duale System gehängt und ja in der letzten Koalition die HEW-Satzungsänderung blockiert. Bei Grün erschreckt mich die Ablehnung des norwegischen Wasserkraftstroms und das häufig nur instrumentelle Interesse am Naturschutz. Am besten kann ich diese Sachen alleine machen und am besten ist deshalb rot pur.

Das Gespräch führten Marco Carini und Uli Exner