Gerupfte Riesenhühnchen

■ Eher Bambi als Godzilla oder wie man Film-Saurier bestimmt - Eine kleine Dinologie & Monsterkunde: Das Filmbuch zum aktuellen Wahn von Bernhard Kempen und Thomas Deist

Sonderlich verändert haben sich die Könige der Schöpfung in 80 Jahren Filmgeschichte nicht: Als Griffith 1913 in dem Kurzfilm „Man's Genesis“ den ersten urzeitlichen Gummilurch auf eine lendenbeschurzte Schönheit beim Bade losließ, war der Schock im Kino zwar groß, doch das tricktechnisch zugrundegelegte Urvieh verhältnismäßig klein und harmlos. Der amerikanische Regisseur hatte lediglich Eidechsen und Schlangen mit archaisch anmutenden Zacken behängt und dann in Einzeleinstellungen mühevoll zu gewaltigem Ausmaß aufgebläht. Die meisten Saurier, die von nun an per Großaufnahme durchs Bild krochen, waren in Wirklichkeit nicht viel größer als der kläffende Köter aus Nachbars Garten – kein Grund zur Panik.

Bei ihrer abrißhaften Saurierkunde vom Stummfilm-Monstrum aus Langs „Nibelungen“ bis zum computeranimierten Dino-Kid in „Jurassic Park“ haben sich die beiden kinematographischen Hobby- Paläontologen Bernhard Kempen und Thomas Deist von keinem noch so grausigen Echsenfund abschrecken lassen, selbst wenn sie über den dänischen Horror-Streifen „Reptilicus“ (1962) zu berichten wissen: „Der Film muß in seiner ersten Fassung so furchtbar schlecht gewesen sein, daß die Produzenten den Regisseur Sidney Pink verklagten.“ Mit Videorekorder und dem „Dinosaur Data Book“, einem lexikalischen Standardwerk von David Lambert ausgerüstet, sind sie den Zelluloid- Spuren der ausgestorbenen Urtiere gefolgt und haben ihnen ohne große psychoanalytische oder zeichentheoretische Umschweife unter den Mastixpanzer geschaut. Dabei kam es den Monstermachern nur selten auf die naturkundliche Echtheit der Saurier an. Für „The Beast from 20.000 Fathoms“ hatte Ray Harryhausen ein Phantasiegeschöpf namens „Rhedosaurus“ entworfen. Der bedrohlichen Eidechse, die in New York ihr Unwesen treibt, waren ganz einfach Rückenflossen angeklebt worden. Auch später interessierte sich Harryhausen nicht allzu sehr für die Wirklichkeit: Den Riesenvogel Phororhacos hielten viele Kritiker für ein gerupftes Riesenhühnchen.

Andere Kabinettstückchen des Trash sind das japanische King- Kong-Remake von 1963, in dem der Riesenaffe an Ballons aufgehängt über das Schlachtfeld schwebt, oder die 60er-Jahre-Neuauflage des Klassikers „The Lost World“ – dort „tritt ein Leguan mit dem Kragen eines Styracosaurus und den Rückenplatten eines Stegosaurus gegen einen Alligator mit Hörnern und dem Rückensegel eines Dimetrodons an“. Als Regisseur Karel Zeman seine „Reise in die Urzeit“ 1955 verfilmte, bei der vier Jungs mit einem Floß in die Steinzeit paddeln, um eine gefundene Fossilie mit dem Original zu vergleichen, nahm er für die Karbon-Kröte eine muppetähnliche Handpuppe. Die Begeisterung für Dinosaurier bleibt allerdings auch für Kempen und Deist ein ungelöstes Rätsel. Filmisch haben die Riesenechsen als Allegorien auf die Vergänglichkeit des Lebens herhalten müssen, Godzilla wurde in Japan zum Sinnbild des Kampfes gegen die atomare Apokalypse, die in den achtziger Jahren durch das Schreckgespenst einer aus den Fugen geratenen Gentechnik ersetzt wurde. Im Angesicht solcher Krisen wurde die Echse aus dem Eis zu einer Art Schutzpatronin – der Skorpion heilt den Skorpion. Das Symbol für die größtmögliche Katastrophe entwickelte sich allmählich zu einem überaus erfolgreichen Exportschlager: „Schon seit Mitte der sechziger Jahre wurden Godzilla, Rodan und Co. in Form von Puppen, Bausätzen, Kaugummis, Bettwäsche und sogar einem Godzilla-Telefon zweit- und drittverwertet.“

In Hollywood nahm man die Endzeit-Hysterie dagegen eher gelassen. 1914 schuf der Trickzeichner Winsor McKay mit „Gertie the Dinosaur“ eine fossile Figur, die in kleinen Sketchen Kunststückchen vorführen mußte. Die Saurierfrau wird zum Zirkuspferd: „Als sie eine Weile nur von einem auf den anderen Fuß tritt, schimpft McKay mit ihr, worauf sie heult.“ 25 Jahre später nutzte Walt Disney für eine Szene in „Fantasia“ die wunderbare Welt des Mesolithikums, um über die Entstehung der Erde und des Lebens bildnerisch zu spekulieren, worauf seine Version als naturgetreue Darstellung selbst für wissenschaftliche Fernsehbeiträge übernommen wurde. 1985 drehte das Disney-Team eine zweite Begegnung mit der Vorzeit unter dem Titel „Baby“, bei der sich die technisch gereiften Saurier anfassen und knuddeln ließen.

Steven Spielbergs erste Unternehmungen in Sachen Steinzeit waren ähnlich kindgerecht angelegt. In dem 1988 entstandenen Zeichentrickepos „The Land before Time (In einem Land vor unserer Zeit)“ spielt ein Babysaurier die Hauptrolle, der eher Bambi als Godzilla nachempfunden war. Er lernt auf der Suche nach seinen verlorengegangenen Eltern Schritt für Schritt die Grundregeln der Demokratie innerhalb einer multikulturellen Jungsaurierhorde kennen, in der die unterschiedlichen Dinos lernen, „ihre „rassistischen“ Vorurteile zu überwinden, da sie aufeinander angewiesen sind“. Für eine friedliche Koexistenz im fortschreitenden Saurier-Fieber ist bereits die nächste Spielberg-Produktion auf März 1994 angesetzt – „We're back“, so der vielsagende Titel des Zeichentrickfilms. Von Harald Fricke

Bernhard Kempen, Thomas Deist: „Dinosaurier-Filmbuch“. Serie „taschenführer populäre kultur“. Verlag Thomas Tilsner, 160 Seiten, 22 DM.