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■ Serie Denk-Mal, das Gedächtnis des Ortes: Teil 17„Leb wohl, du mein Schwanstein!“

Die Stille des Todes liegt über Schloß Berg. Der Himmel ist dunkel und wolkenschwer, der Starnberger See wirft hohe Wellen. An diesem schicksalsschwerem Pfingstsonntag, dem 13. Juni 1886, brechen Seine Majestät der König und Obermedizinalrat Dr. von Gudden um 18.25 Uhr zu ihrem Spaziergang auf. Sie folgen dem Pfad, der, von Baumwipfeln überwölbt, ständig den Windungen des schilfbestandenen Ufers folgt. Der breite Gudden, professoral-elegant, in höfischem Zylinder, neben ihm Ludwig II. in seinem üblichen stelzenden Schritt, die Riesengestalt in einen schweren, schwarzen Mantel gehüllt, am breitrandigen Hut glänzt eine Brillantagraffe.

Des Königsdramas 1. Entwurf:

„Um halb eins bin ich geboren, um halb eins will ich auch sterben“, ruft der König plötzlich aus, Verzweiflung im blassen, von schwarzen Locken umrahmten Gesicht. „Aber Majestät“, erwidert der Irrenarzt, auf seine Uhr blickend, „da müssen sie noch ein bißchen war...“, schon ist der König den Weg hinunter zum See gestürmt und watet hinein. Nach seinem schmählichen Abstieg – souveräner Regent eines unabhängigen Staates war er einst, jetzt ist er ein für geisteskrank erklärter Gefangener – scheint ihm dies ein würdiger, krönender Abschied. „Daß man mich des Thrones beraubt, kann ich verschmerzen“, denkt er noch, „daß man mich aber für irrsinnig erklärt, überlebe ich nicht.“

Gudden eilt ihm nach, packt ihn, ringt mit dem Zweiundvierzigjährigen im hochspritzenden Wasser. Der König entkommt, stapft weiter. Gudden folgt. „Dich werd' ich einseifen!“ brüllt der König. Packt den widerwärtigen Seelenbürokraten mit dem unerträglich preußischen Idiom in besinnungsloser Wut im Nacken, drückt ihn unter Wasser. Befreit stürmt Ludwig in den See hinaus. „Leb wohl, du mein Schwanstein, du mein Schmerzenskind“, und läßt sich im brusthohen Wasser sinken.

Des Königsdramas 2. Entwurf:

„Wie können Sie mich für geisteskrank erklären?“ fragt der König mühsam beherrscht, „Sie haben mich ja vorher gar nicht angesehen und untersucht!“ „Majestät, das war nicht notwendig“, erwidert Gudden, „das Aktenmaterial ist sehr reichhaltig und vollkommen beweisend.“ „Ich fordere jeden königstreuen Bayern auf, den Prinzrebellen Luitpold und das bisherige Gesamtministerium als Hochverräter zu bekämpfen“, ruft der König. „Ich fühle mich körperlich und geistig so gesund wie jeder andere Monarch“, und stürmt zum See.

Schwimmend will er das Gitter umrunden, das den Park von Schloß Berg begrenzt. Auf der anderen Seite wartet ein Fischer mit seinem Kahn; den hat ihm Kaiserin Sissy geschickt, um ihm zur Flucht nach Tirol zu verhelfen. Dort wird man ihn endlich von der Syph..., von dieser unmajestätischen Krankheit befreien, die ihm aufs Gemüt drückt. Gudden springt ihm nach. „Ja was wollen Sie denn? Ja was soll denn das?“, schreit Ludwig, bekommt einen Herzschlag und zieht Gudden mit unter Wasser.

Des Königsdramas 3. Entwurf:

„Danke, danke, danke“, spricht Ludwig ernst, den Blick träumerisch auf den See gerichtet, denn ihm ist Wagner, sein geliebter Freund und Meister in den Sinn gekommen. Fast scheint ihm Lohengrins Schwan über den See zu schweben. „Hier geht bis jetzt alles wunderbar gut“, denkt Gudden. Er ahnt ja nicht, daß Graf Dürckheim, des Königs rotblonder Flügeladjutant, schon die Flucht seines Herrn geplant hat. Dürckheim, Ludwigs letzter, treuester Vasall. Plötzlich bricht jemand durch das Unterholz des Parkes. Es ist ein Adliger, ein ehemaliger Günstling des Königs, jetzt sein erbitterter Feind. Ein Werkzeug der ministeriellen Oligarchie in München, die Ludwigs Entmündigung und Tod beschlossen hat. Der Attentäter feuert, zwei Schüsse treffen den König. Ludwig seufzt ein leises, schmerzliches „Ach“ und sinkt tot ins Wasser. Der dritte Schuß erledigt den Irrenarzt. Der Mord wurde geschickt vertuscht.

Wer anders denkt, ist ein Königsmörder, ein preußischer Spion! Bascha Mika

Morgen letzter Teil: der Westwall

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