Bellevue-Tower bleibt besetzt

Ehemaliger Hausmeister hat sich im achten Stockwerk eingenistet und will bleiben / Gerichtsbeschluß klebt an der Tür / Fensterscheibe zerbrochen  ■ Von Christian Arns

Dreckig ist es im Bellevue-Tower am Reichpietschufer, der schon bald abgerissen werden soll, furchtbar staubig und laut. Die Bagger räumen den Schutt hin und her, in den Fluren des 15stöckigen Kolosses werden Teppiche geflämmt, Rohre demontiert. Nur ein Mini-Appartement bleibt noch verschont: Dort hat sich Ulrich Theis eingenistet, der auch nicht weichen will – er ist der letzte Bewohner des Studentenwohnheims.

Der Blick aus der achten Etage ist beeindruckend: Weit bis in den Ostteil Berlins läßt sich sehen, noch immer so, wie es sich die Planer erdacht hatten. Den freien Westen hatte der Turm als Nobelhotel mit Dachterrasse weithin sichtbar symbolisieren sollen, ehe der 1971 gebaute Klotz zum Wohnheim umfunktioniert wurde, unter anderem für Studenten und Asylbewerber. Diese konnten fortan aus dem scheußlichen Monstrum heraus gen Osten blicken und den Sonnenaufgang genießen.

Die Innenansicht des Bellevue- Towers ist mittlerweile wenig romantisch: Überall liegt Bauschutt herum, zerbrochenes Glas und Betten-Bauteile zieren die Flure. Türen und Fenster stehen offen, so denn überhaupt noch Scheiben drin sind. Doch diese höchst eigene Romantik scheint es dem ehemaligen Aushilfs-Hausmeister des Studentenwerks angetan zu haben; er besteht darauf, eins der Zimmerchen weiter zu nutzen. Mit Bleistift hat er seine Botschaft an die Tür des Appartements 817 geschrieben: „Draußen bleiben!!! Privat!!!“ Und wer's nicht glaubt, bekommt die amtliche Fassung gleich dazugeliefert: Die Leseabschrift der einstweiligen Verfügung des Amtsgerichts Tiergarten klebt als Kopie auf der Tür.

Damit untersagten die Richter den Bauunternehmen Pade und Uniplanung im Dezember 1989, die Wohnung zu betreten. Drumherum jedoch wird fleißig gearbeitet, der Baulärm wirkt nicht gerade einladend. Das ursprünglich rote Fahrrad, das der einzigen verschlossenen Tür gegenüber an der Wand lehnt, ist über und über mit feinem Staub bedeckt; der Vermerk „Bitte stehen lassen“ ist kaum noch zu lesen. In der kleinen Wohnung mit dem winzigen Bad müßte es zudem kühl werden, denn eine der Fensterscheiben ist zerbrochen.

Dennoch müssen die Baufirmen dem Bewohner der Mercedes-Großbaustelle am Potsdamer Platz den ungehinderten Zugang ermöglichen: Mit Zäunen ist für Ulrich Theis ein Weg durch die Bauarbeiten gebahnt, der Aufzug fährt nur noch für ihn. Unmittelbar daneben ist das Büro des Wachschutzes, wo das Kommen und Gehen genau beobachtet wird. „Wir müssen doch wissen, ob jemand im Haus ist“, erklärt Jürgen Reim, Bauleiter der Firma Eckert.

Ärger zwischen den Bauleuten und dem Bewohner gebe es nicht, betonte Bauleiter Reim gegenüber der taz, „wir haben ein ungestörtes Verhältnis zu Herrn Theis“. Sicher zeigt er sich, daß sein einziger Gast noch anderer Wohnraum zur Verfügung stehe. Davon geht auch der Mitarbeiter des privaten Wachschutzes aus, der Theis öfter sieht: „Der kommt hier immer mal für ein, zwei Stunden her, kramt ein bißchen in seiner Wohnung rum und geht dann mit irgendwelchen Päckchen wieder raus.“

Daß der ehemalige Hausmeister bald mit allem verschwindet, hoffen vor allem das Studentenwerk, das den Wohnklotz zu räumen hatte, und das Land Berlin, das an Mercedes das Baugrundstück „besenrein“ zu übergeben hat. Noch laufen jedoch die Vorarbeiten zum Abriß, der im Sommer letzten Jahres beschlossen wurde. Konkrete Termine gebe es noch nicht, so der Bauleiter. Vorerst kann Ulrich Theis den Sonnenaufgang also ungehindert genießen – wie die Gewißheit, als letzter eins von 430 Zimmern zu bewohnen.