Durchs Dröhnland: Seit der Erfindung des Formfleisches
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Als die Mitte-der-Achtziger- Rockisten dieser Welt Australien entdeckten und feststellten, daß es dort jenseits von Birthday Party jede Menge derbe abgehender Uffta-Kapellen gab, war der Weg vom fünften Kontinent nach Neuseeland nicht mehr weit. Passenderweise gab es dortselbst nur ein Independent-Label von Belang, und das veröffentlichte schlauerweise gleich eine Compilation. Flying Nun war der Name der Firma, und so flatternd wie die Rockschöße der Nonne waren die meisten Songs auf dieser Platte. Da dingelten und dängelten die Gitarren, daß die Byrds, hätte es sie zu der Zeit noch gegeben, freiwillig nach Neuseeland ausgewandert wären. Eine kleinere Offensive von Flying Nun kommt nun auf uns zu. Aus jenen fernen Tagen haben nur The Bats und ihr Folkrock überlebt. Doch der ist auf ihrem bereits vierten Album immer noch genauso flirrend und hitzeversprechend bei gleichzeitiger größtmöglicher Relaxtheit. Die Verlorenheit da drunten down under – nur Schafe weit und breit – wird in entwaffnend schlichte Worte gepackt: „I look at the sky but it don't tell me much“, und bestimmt die obskur überschäumende Melancholie ihrer Melodien. Stimmungsmäßig gar nicht mal so weit entfernt ist die JPS Experience, wobei das Kürzel für Jean-Paul Sartre steht. Obwohl sie grundsätzlich wesentlich elektrischer und verzerrter als die Bats sind, geht doch nie der Dumpfrocker mit ihnen durch. Alles etwas schwerfällig, fast zäh und doch leichtfertig dahinschwebend, wollen die Töne nicht recht zu Boden fallen, auch wenn sie noch so schwer klingen. Da gibt es sogar Metal-Riffs, sogar zähneknirschendes Plektrumgequietsche, aber niemals nicht falsche Hast.
Und auch die Straitjacket Fits klingen bei weitem nicht so böse und gemein, wie sie allem Anschein nach wollen. Selten wohl wurden souveräner solch dräuende Songs so schaumig-locker dahergespielt, als wär das alles nichts, inklusive Bowies mittlere Phase als verdaulicher Schatten seiner selbst. Irgend was funktioniert in Neuseeland ganz offensichtlich nicht so, wie es sollte, aber das braucht niemanden zu stören, solange dabei noch solche, demnächst garantiert auch wieder dauerhaft unterschätzte Bands zustande kommen.
Am 5.9. um 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108–114, Kreuzberg
Wer vergangenes Wochenende das schauerliche Wetter nicht gerade im Freien verbringen wollte, hat vom Insel-Open-air wenigstens die Möglichkeit, die Dambuilders nachzuholen. Früher schon klang die aus Hawaii stammende Band nicht nach ihrer Heimat, aber damals beherrschte eine Violine die manchmal zu komplizierten Stücke, die sich nie so recht zwischen Kunst und Folk entscheiden konnten. Auf ihrer letzten CD namens „Islington Porn Tapes“ erschien dann doch recht unerwartet plötzlich etwas, was man fast Punkrock nennen könnte, und die Geige verschwindet traurigerweise im Hintergrund.
Daß das immer noch dieselbe Band ist, merkt man aber spätestens dann, wenn das Geschrammel plötzlich abbricht und einen Ausflug in die Gräber der Beatles macht. Weil's dort so muffig ist, bald schon nichts wie weg, aber nicht ohne noch eine nette kleine Ohrwurmmelodie mitgehen zu lassen. So was kann man ja immer mal brauchen.
Am 5.9. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
Die Babes in Toyland haben sich zwar nicht aufgelöst, wie zwischenzeitlich gemunkelt worden war, aber sie befinden sich wohl in einer kleinen Schaffenskrise. Auf ihrer neuesten Platte „Painkiller“, übrigens produziert von Förderer Lee Renaldo (Sonic Youth) und dem notorischen Jack Endino, finden sich gerade mal vier neue Songs, aber dafür zusätzlich ein mehr als halbstündiger Zusammenschnitt eines Konzerts im berühmt-berüchtigten CBGB's in New York, wo das gesamte vorherige Album im Schnelldurchlauf abgefertigt wird. Und immer noch klingen die drei Frauen wie ein in seiner Mülltonne punkrockender Oscar, während der Harmoniegesang die B-52's zurück zum Friseur schickt. Mindestens genausoviel Spaß scheinen Jacob's Mouse zu haben, oder wer benennt sich schon nach dem Haustier eines Cousins? Die drei Jungspunde verdecken ihre offensichtliche Unbedarftheit an den Instrumenten mit einem dreisten Hang zum klassischen Songwriting, das an den stolpernden Tönen fast zerbricht. So viel Unverschämtheit muß einfach gut sein, vor allem wenn so hübsch überschnappend dazu geschrien wird, als hätten sie ihre Käseecke verschluckt. Freundlichste Hardrockband seit der Erfindung des Formfleisches.
Am 6.9. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Hier sind sie also nun: die beste, die wichtigste, die lustigste, die härteste, die funkigste und die politisch korrekteste Band des Planeten. Wer sich auf nichts einigen kann, hier ist man einer Meinung. Fishbone spielen Punk, spielen Rock, spielen Funk, spielen Reggae, spielen Metal und manchmal sogar HipHop, sie benutzen keinen Sampler, haben hart analysierende Texte oder auch Beschimpfungen, die den anderen einfach mal die Meinung sagen. Fishbone kommen aus South Central L.A., und es soll hier mal einfach angenommen werden, daß diese sieben die einzigen Schwarzen dort waren, die ihr Herz für Rock entdeckten. Also spielen sie einfach alles, was sie wollen, weil sie es können. Wenn es sein muß, auch eine Led- Zeppelin-Nummer oder was, worüber Pink Floyd sich freuen würden. Ohne je zur Karikatur zu werden, denn im Gegensatz zu den meisten Weißen haben Fishbone ihren respect gelernt. Dieses abstandswahrende crossovern bewahrt ihren wahnwitzigen Stilmischmasch vor dem Absacken ins Beliebige, auch wenn die Teile nicht immer eindeutig identifizierbar nebeneinanderstehen. Fishbone hätten es verdient, größer als U2 zu werden, ganz einfach weil sie besser und nicht dumm sind. Doch das wird nicht passieren – leider. Das wird – nicht nur weil sie Weiße sind – wohl eher den ebenfalls aus Kalifornien stammenden Stone Temple Pilots passieren. Sie machen genau die Sorte Musik, die mitten im MTV nicht weiter auffällt, aber doch immerhin so saftig abgeht, daß sie auch noch halbwegs underground-kompatibel bleibt. Die kommenden Faith No More. Noch dabei die Mighty Mighty Bosstones, ihres Zeichens die einzige Ska-Band dieses Planeten, die nur schätzungsweise fünf, sechs Jahre hinter der Zeit ist. Ihr Off-Beat hat nichts mehr mit seligen Two-Tone-Zeiten am Filzhütchen (hier statt dessen Baseballkäppi), aber führt dafür die von The Clash und anderen schon angedachte Allianz zwischen Punk und Reggae krachend zu Ende. Eigentlich zu schade fürs Vorprogramm.
Am 7.9. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt
Immer noch das Beste im Norden, wenn auch zuletzt ungewohnt melodiös: die Subway Surfers. Aurich ist ihre Heimat, die Gitarre ihr Liebstes, Amerika ihr Traum. Punkrock war es einmal, aber auch inzwischen legalisierte Besetzerhäuser brauchen einen Party-Soundtrack.
Am 9.9. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg Thomas Winkler
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