Sozialpolitische Tragödie verhindert

■ betr.: „Aus Sozialplänen werden Sozialfälle“, taz vom 25.8.93

Mit der wirtschaftlichen Situation in der europäischen, deutschen und saarländischen Stahlindustrie scheint sich der Artikelschreiber in keinster Weise auseinandergesetzt zu haben. Er weiß scheinbar nicht, daß es in Deutschland kein Unternehmen in der Stahlindustrie gibt, das schwarze Zahlen schreibt und daß die politischen Rahmenbedingungen auf die die EG-Kommission und die Bundesregierung Einfluß haben, völlig fehlen.

Die IG Metall an der Saar hat mit Wut und Empörung am 18. Mai 1993 von der Einleitung des Konkursverfahrens von Saarstahl Kenntnis erhalten. Bereits am 10. März 1993 hat in Völklingen eine große Demonstration mit 15.000 Teilnehmern mit anschließender mehrstündiger Belegschaftsversammlung in der Stadionhalle stattgefinden, in der die kritische Lage der Gesamtstahlindustrie behandelt wurde.

Am 26. März 1993 hat die IG Metall Völklingen mit 80 Bussen mit Stahlarbeitern von der Saar an der IG Metall Veranstaltung in Bonn „5 vor 12“ teilgenommen. Vertrauenskörperleitungen und Betriebsräte haben in unzähligen Veranstaltungen, Flugblattaktionen und Zeitungsanzeigen auf die drohende Katastrophe im Stahlbereich hingewiesen. Sofort nach dem Einleiten des Konkursverfahrens am 21. Mai 1993 hat die IG Metall unter dem Motto „Aktion statt Resignation – Wir schützen unser Werk“ eine Menschenkette um das Völklinger Unternehmen organisiert. Über 10.000 Menschen versammelten sich mit der IG Metall in Völklingen und demonstrierten gegen den Abbau von Stahlarbeitsplätzen und Sozialabbau sowie für die Erhaltung der Stahlstandorte an der Saar.

Alle im Landtag politisch vertretenen Parteien kamen zu Wort. Eine Resolution wurde an die EG, die Bundesregierung und die Landesregierung gesandt. Am 9. Juni 1993 demonstrierten 5.000 Stahlarbeiter vor dem Saarbrücker Schloß und vor dem saarländischen Landtag für ihre Arbeitsplätze. Ministerpräsident Oskar Lafontaine gab eine Regierungserklärung ab. Am 23. Juni 1993 fand eine weitere Belegschaftsversammlung in der Stadionhalle Völklingen statt. Delegationen der IG Metall sprachen zum wiederholten Male bei der Landesregierung und in Bonn und Brüssel vor.

Alle diese Aktionen haben mit dazu beigetragen, daß es am 7. und 9. Juli 1993 im saarländischen Landtag zu einer weiteren Stahldebatte kam. Bereits am 9. Juni 1993 hatte der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung festgestellt, daß monatlich ein Verlust bei der Saarstahl AG und der stahlnahen Betriebe auf 30 Millionen DM entsteht und daß die Dachgesellschaft DHS zwischenzeitlich über 300 Millionen DM zur Verfügung gestellt hat für Saarstahl. Der Anteilseigner von Usinor/Sacilor sei nicht mehr bereit, weiteres Geld zu geben. Vor diesem katastrophalen wirtschaftlichen Hintergrund haben die IG Metall und ihre Funktionäre mit der Landesregierung erreicht, daß in der Landtagssitzung vom 9. Juli im Rahmen des Nachtragshaushaltes für das Unternehmen zur Finanzierung der Ausbildungs- und Behindertenwerkstatt und der Altensozialpläne eine Barhilfe von 30 Millionen DM zur Verfügung gestellt wurden, im Rahmen einer Verpflichtungsermächtigung von 87 Millionen hat das Parlament die Finanzierung der Neusozialpläne sichergestellt. Dieser Beschluß der Verpflichtungserklärung wurde von der SPD mehrheitlich vertreten. Die CDU stimmte dagegen.

Ebenfalls sind Verhandlungen mit der Bundesregierung und der EG-Kommission in Brüssel für die Montanunionfinanzierung mit Erfolg geführt worden. Die Forderung der IG Metall nach Ersatzarbeitsplätzen ist so alt wie die Strukturkrise in der Stahlindustrie.

Die IG Metall hat mit ihren Aktionen und ihrem Mitgestalten im Rahmen der Möglichkeiten in der Stahlstiftung Saarland alles erdenkliche getan, um eine sozialpolitische Tragödie an der Saar zu verhindern. Es wurde erreicht, daß die Anrechnung von Renten und die Einkommen aus unselbständiger Arbeit der Ehepartner im Rahmen einer Bedürftigkeitsprüfung außer acht gelassen werden.

Es sind eine Reihe von Fragen offen und nicht geklärt, zum Beispiel die der Betriebsrenten von früheren Mitarbeitern von Saarstahl AG. Der Betriebsrat und die IG Metall sind dabei, alle Fragen mit der Arbeitsdirektion, soweit dies nach der Konkurseröffnung möglich ist, zu klären. In 17 Jahren Stahlkrise an der Saar wurden 27.000 Arbeitsplätze sozialverträglich abgebaut. Die IG Metall und ihre Betriebsräte haben alle Instrumente, die es nach dem AFG und nach der Montanunionfinanzierung gibt, ausgenutzt, um diese schwere Strukturkrise im Saarland für die Menschen verträglich zu gestalten. [...] Kurt Hartz, 1. Bevollmächtigter, IG Metall Völklingen

Mit dem Wunsch nach Polemik gegen die saarländische Landesregierung und die IG Metall an der Saar ist die richtige Information auf der Strecke geblieben.

Es ist falsch, daß bei den alten Sozialplänen von Saarstahl das „Bruttoprinzip“ eingeführt worden sei. Richtig ist, daß am „Nettoprinzip“ festgehalten wurde. Beschlossen wurden zwei Einschränkungen: Einmal die Höchstgrenze, die weit über 90 Prozent der Altsozialpläne nicht betrifft und zum anderen im Zusammenwirken mit der Arbeitsverwaltung eine Bedürftigkeitsprüfung. Die Landesregierung hat weiter sichergestellt, daß einzelne Härtefallprüfungen vorgenommen werden und daß bei akuten Problemen rasch gehofen werden kann.

Falsch ist auch, daß eine Erhöhung der Sozialplanzuweisungen unmöglich ist. Beschlossen wurde eine Sprechklausel, die nach einer gewissen Zeit überprüft, ob das Unternehmen eine Dynamisierung finanzieren kann. Nach unserer Auffassung sind dies im Hinblick auf die Restriktionen des Landeshaushaltes verantwortliche und für jeden nachvollziehbare Lösungen.

Dank einer großen Solidaranstrengung der Belegschaft und ihrer Betriebsräte, der IG Metall, der Konkursverwaltung und der Landesregierung werden die in die Stahlstiftung wechselnden Beschäftigten weit mehr erhalten, als die normalen Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Jochen Flackus,

Regierungssprecher des Chef

der Staatskanzlei Saarland