Pop, Widerstand und Wissen

■ HipHop kapiert, zumindest politisch: Günther Jacobs Sammelband seiner journalistischen Arbeiten „Agit-Pop“

Es fängt immer mit einer Faszination an: der Kraft der Musik, Gefühle zu fokussieren, in einem ästhetischen Gefüge Befindlichkeiten Plastizität zu geben. Das kann so weit gehen, daß die Illusion entsteht, in einem einzigen unwiderstehlichen Rhythmus, der Schönheit einer einfachen Melodie sei für einen Moment die Welt erklärt.

Im HipHop ist, wie in kaum einer anderen Musikform, dieser Ausgangspunkt „Faszination“ immer schon durchkreuzt vom komplexen Ineinanderwirken von Ästhetik und Sozialem. Spätestens hier fangen auch die Probleme und Auseinandersetzungen mit rassistischen Einstellungen an. Günther Jacob, in Hamburg lebender Journalist und DJ, hat sich in zahlreichen Veröffentlichungen dafür eingesetzt, von einer rein ästhetisch ausgerichteten Rezeption des HipHop wegzukommen. Wer von HipHop spricht, müsse auch von Rassismus, Nationalismus und Kapitalismus sprechen; andernfalls nehme er in Kauf, die Ausdrucksformen Marginalisierter, die überwiegend in den „Verliererzonen“ der westlichen Welt leben müssen, als bloße Unterhaltung anzueignen und als Lifestyle „unschädlich“ zu machen. Abgesehen davon, daß HipHop nicht auf den „geilen Groove“ und unverstanden bleibendes cooles Geplapper reduziert werden kann, schleppt eine Ästhetisierung, so Jacob, unterschwellig ein Gewirr aus Vorurteilen und bequemen Annahmen mit sich: etwa, daß „Schwarze“ eine „Rasse“ seien, die den „Rhythmus im Blut“ haben und ihre gefährliche Ghetto-Tristesse zu scharfer Musik verarbeiten.

Jacobs Buch „Agit-Pop. Schwarze Musik und weiße Hörer“ dokumentiert die journalistische Arbeit des Autors zwischen 1987 und 1993 – und rekapituliert damit genau den Zeitraum, in dem HipHop zur zweiten, eigentlichen Blüte kam und (mit Überschneidungen zu fast allen Formen der Popmusik) ein eigenes musikalisches Universum wurde, das auch dem Raggamuffin, der Dancefloor-Neuformulierung des Reggae, den Weg bereitete. Vor dieser rasanten Entwicklung kapitulierte mitunter die journalistische „Begleitung“, zumal bei der Darstellung komplexer sozialer Zusammenhänge. Jacob hat gegensteuernd in seinen Artikeln aus Spex, Network Press und Konkret großes Detailwissen verarbeitet, eine aus Zeitungsmeldungen, Büchern und Berichten von Freunden zusammengetragene Fülle an Facts, die den sozialen Hintergrund der „schwarzen Musik“ ausleuchten. Seine aus marxistischen Diskursen der Siebziger „herübergerettete“ politische Analyse – aufgeladen mit Motiven der französischen Sozialphilosophie von Bourdieu bis Foucault – mag dem Musikfan mitunter spaßverderberisch erscheinen (als würde der Musik ihr Zauber geraubt, wenn man mehr über ihre Entstehung und Wirkung erfährt), aber vielleicht ist es am Ende doch umgekehrt: Die besten Musikstücke werden erst dann wirklich „sinnlich“ begreifbar, wenn man sie in ihrem Kontext versteht. Bloß an Stücken, in denen minutiös eine Vergewaltigung beschrieben oder Schwulen mit Mord gedroht wird (was durchaus nicht die Regel ist), wird die Lust wohl etwas verlorengehen.

In einer „langen Kette von diskursiven Praktiken und metaphorischen Sinnverschiebungen ... im kollektiven Gedächtnis“, so Jacob, wird erst das ideologische Feld konstitutiert, in dem sich eine Gruppe von Menschen (etwa deutsche HipHop-Hörer) zu etwas außerhalb dieses Sinnzusammenhangs Entstandenem in Beziehung setzen – und dies im HipHop Geäußerte seine spezifische Wirkung entfaltet. Ein Beispiel: Als der Ex- Public-Enemy-Rapper „Professor Griff“ in einem Interview 1990 antisemitisch vom Leder zog, sahen sich Schreiber der deutschen Dancezeitschrift Network Press gemüßigt, Griffs Äußerungen zu verharmlosen und gedankenlos ihren Widerstand gegen die Beschäftigung mit der deutschen Nazi- Vergangenheit in der Wortschöpfung „Gaskammer-Bullshit“ zu verraten. Es sind solche Erfahrungen, die Jacob, selbst Autor dieser (eingestellten) Zeitschrift, im Beharren auf antirassistischen, antisemitischen und antikapitalistische Essentials recht geben.

Jacobs Einsicht, daß „sich Pop gelegentlich ... in Wissen und Kritik auflösen muß“, bleibt allerdings in bezug auf die Analyse der ästhetischen Seite formelhaft. Er zählt auf, wieviel Rap-Arten es gibt („Angeber-Raps, Beleidigungs- Raps, Klatsch-Raps, Unsinn-Raps, Party-Raps“), aber an keiner Stelle des Buches macht er sich wirklich die Mühe, die innere ästhetische Dramatik eines Raptextes zu beschreiben, zu zeigen, wie die Meister des Raps Schönheit in der Sprache erzeugen; so fällt zum Beispiel Rapper Guru von Gang Starr durch dieses Raster, weil seine Raps überwiegend von der Kunst des Rappens selbst handeln, so wie es ja auch Literatur über Literatur gibt, die nicht einfach nur dekadentes Spiel ist, sondern das Behaupten eines ästhetischen Freiraums gegenüber der Inkorporierung von Sinn in eine Informationswirtschaft. Dennoch stellt Jacob – und nicht ganz unberechtigt – auch im Kontext der Musikkritik die Frage: Wo ist heute die „schwarze“ Linke? Nach der erfolgreichen Zerschlagung der Black Panther in den Siebzigern durch das F.B.I. ist es notwendig, daran zu erinnern, daß nicht alle „schwarzen“ politischen Diskurse sich immer nur in Begriffen von Rasse, Nation und Abstammung fassen konnten.

„Agit-Pop“ ist ein hilfreiches Buch, es enthält Facts, die in keinem Geschichtsbuch stehen – und immer noch in viel zu wenigen Musikartikeln. Vielleicht ist Jacob am Ende doch hoch anzurechnen, was ihm mitunter als Überheblichkeit des in Theorie geschulten „weißen“ Europäers angelastet wird: daß er es – aus der Überzeugung, daß man mit mythologischen Abstammungs- und Rassegemeinschaftsbegriffen nicht weit kommt, will man etwas an den Verhältnissen zum Guten verändern – in einem Interview mit den Jungle Brothers zu sagen „wagt“: „Es gibt keine Black Nation“ – worauf er dann auch ein verdutztes „Wie bitte?“ erntet. Jörg Heiser

Günther Jacob: Agit-Pop. Schwarze Musik und weiße Hörer. Texte zu Rassismus und Nationalismus – HipHop und Raggamuffin. Edition ID-Archiv, Berlin, 231 Seiten, 20 DM