■ Denk-Mal, das Gedächtnis des Ortes: letzter Teil: Front aus Stahl und Beton – der Westwall
Diese Bauern haben eine merkwürdige Art, ihre Felder zu begrenzen, denkt der Besucher, der in der Eifel spazierengeht. In geschwungener Linie ziehen sich trapezförmige Buckel durch die Landschaft, mal mehr, mal weniger von Büschen und Gräsern verdeckt, graue Drachenzähne, die aus dem Boden wachsen. Doch mit Landwirtschaft haben sie nichts zu tun. Sie sind Teil einer „Front aus Stahl und Beton“: Bei dem Eifeldorf Roetgen verläuft die Höckerlinie des Westwalls.
„Ich befahl den sofortigen Ausbau unserer Festungsanlagen im Westen“, verkündete Hitler beim Reichsparteitag 1938. „Ich darf Ihnen die Versicherung geben, daß seit dem 28. Mai dort das gigantischste Befestigungswerk aller Zeiten im Ausbau begriffen ist.“ Nur mit einer gesicherten Westgrenze konnte der Gröfaz es wagen, die „Raumfrage im Osten zu lösen“. Zwischen 1938 und 1940 ließ er auf einer Länge von 630 Kilometern zwischen Aachen und Basel eine tiefgestaffelte „Verteidigungsanlage“ bauen: 15.000 Bunker, Schartenstände und Panzersperren (Höckerlinie, Panzergräben und -mauern). „Dahinter“, drohte er, „steht das deutsche Volk in Waffen.“
Der Westwall war nie ein „Schutzwall“. Zu keinem Zeitpunkt war er eine verteidigungsfeste Anlage und wurde im Frühjahr 1945 von Amerikanern, Engländern und Franzosen in der Eifel und der Pfalz mühelos durchbrochen. Historiker und Militärtouristen konzentrieren sich mit Vorliebe auf seinen wehrtechnischen Aspekt und vergessen, daß seine Hauptfunktion letztlich eine andere war: Er war ein Bollwerk zur Befestigung der „inneren Front“. Er suggerierte die Sicherheit des eigenen Territoriums, von dem aus unbeschadet ein Krieg in Angriff genommen werden konnte.
Bei dieser psychologischen Kriegsvorbereitung gaben sich die Nazis alle Mühe. Das Bauwerk wurde zum „Wall des Willens“ des deutschen Volkes erklärt, zur nationalen Aufgabe erhoben und mit mystischer Stärke versehen. Der Slogan: „Wir bauen des Reiches Sicherheit“ war in den Medien omnipräsent, bis der Beton der Befestigung sich zu Beton in den Köpfen verwandelt hatte.
Zig Industriezweige, bis zu Schmuck- und Spielzeugwaren, beteiligten sich an der Propaganda. Dabei gab es kaum ein Projekt, das volkswirtschaftlich unsinniger war. Todt, Der Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen, hatte mit seiner autobahnerprobten Organisation die Bauleitung übernommen. Doch bereits seit 1936 waren Arbeitskräfte knapp. 1938 erließ Göring die „Verordnung über die Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung“. Wirtschaftliche Mobilmachung.
Mehr als 500.000 Arbeiter wurden zwangsrekrutiert, quer durchs Land gekarrt und in Lagern an der Westgrenze untergebracht. Wenn sie parierten, wurden ihnen Verdienstmedaillen en masse verliehen. Spurten sie nicht, steckte man sie in Arbeitserziehungslager. (Einige dieser Lager wurden später zu KZs umfunktioniert.) Jede dritte Baumaschine war beim Westwall eingesetzt; bis zu Beginn des Krieges wurden fünf Prozent der jährlichen Eisen-, acht Prozent der Holz- und zwanzig Prozent der Zementproduktion im Westwall verbaut. Mittlerweile ging der staatliche Wohnungsbau stark zurück, der private lag völlig brach, denn es fehlten Fachkräfte und Material.
Was jetzt vom Westwall noch übrig ist – Bunker im Saarland, Höcker in Nordrhein-Westfalen, bewohnt und bewachsen von seltener Flora und Fauna –, wird teilweise als Denkmal geschützt. Und es scheint, als wäre diese Erinnerung nötig. Damals hat ein Schutzwall gegen den Westen versagt, trotzdem glauben einige, er würde heute im Osten funktionieren. Bascha Mika
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