„Berlin, Berlin, was war bloß in Berlin?“

■ St.Pauli stand sich beim Auswärtsspiel gegen Tennis Borussia größtenteils selbst im Wege

Was einem Bayern auf Rügen recht ist, kann einem Sachsen in Hamburg nur billig sein: die Rückfahrkarte in die Heimat. „Schläschd“ fühlte sich jedenfalls Dietmar aus Leipzig und recht hatte er. Wer tauscht schon gerne einen Bundesligaverein gegen einen Arbeitsplatz. „Keine Ballannahme, und alle Zweikämpfe und Kopfballduelle verloren“, lautete das Verdikt des Heldenstädters über seine Kicker in der Wahlheimat. Die Folge: Dietmars unnachnäselnder Schlachtruf blieb den ungewohnten Ohren fortan vorenthalten.

St. Pauli in Berlin. Was von den politisch korrekten Fans im Fußballrandgebiet in der Vergangenheit immer wieder als 1. Mai auf grünem Rasen gefeiert wurde, ging heuer im Nieselregen unter. Da half es wenig, daß St. Pauli am Donnerstag abend gegen die verhaßte Tennis Borussia kickte, jenen Club der den FC Union aus Köpenick, grade drauf und dran zum St. Pauli des Ostens zu avancieren, aus der zweiten Liga drängte.

Nur etwa 50 Berliner Pauli-Fans waren dem Aufruf der „Antifaschistischen Fußball-Fan-Initiative“ (AFFI) gefolgt und fanden den Weg ins abgelegene Mommsenstadion. Die dreihundert Hamburger Fans blieben also weitgehend unter sich und damit von der Frage verschont, was denn an St.Pauli besser sei: der Fußball oder seine Anhänger.

St. Pauli in Berlin. Selbst die Verantwortlichen von TeBe hatten mehr Dynamik (Druck nach vorne) erwartet: „Betrunkene, unter Drogen stehende oder vermummte Personen haben keinen Zutritt!“, tafelte man hinter dem einzigen Bierstand am Haupteingang des Stadions. Doch auch hier wurden die Erwartungen enttäuscht: Das „beste Publikum der (zweiten) Liga“ paßt sich der Leistung seiner Mannschaft an, und die hieß: Panik statt Dynamik und Konfusion statt Perfektion. So dauerte es bis zur 75. Minute, in der das erste bemerkenswerte Ereignis zu notieren stand: Es hörte auf zu regnen.

Danach ging alles Schlag auf Schlag: In der 78. Minute verweigerten die Pauli-Fans dem bitteren Spiel die Pille und zwei Minuten später begann der Regen erneut. Dazwischen immer wieder ungläubiges Staunen, denn die Fähigkeit zur Ballannahme bei den Hamburgern verhielt sich reziprok experimentell zur Unfähigkeit der Berliner, beste Torchancen zu vergeben. In der 89. Minute schließlich stockte den Zuschauern ein letztes Mal der Atem.

Ein Berliner Spieler lag wie tot auf dem Rasen und ein Kollege beförderte den Ball nach reiflicher Überlegung ins Aus. Bei der nun folgenden Geste „Fair geht vor“, drohte ein Hamburger mit beinahe Unbegreiflichem: Einem Fehleinwurf und mithin dem Geständnis, nicht nur unfähig, sondern unfair gleichermaßen zu sein. Doch letzten Endes ging alles gut: Der Einwurf fand den Weg zum Gegner und Dietmar fragte sich nach dem Abpfiff, wer ihn denn überredet habe, nach Berlin zu fahren.

Uwe Rada

Statistik zum Spiel TeBe Berlin – FC St. Pauli (0:0) =

Aufstellung: TeBe: Hillringhaus – Keim – Lenz, Schröder – Sandstoe, Boer (79. Henschel), Wehrmann, Tretschok, Flad – Rousajew, Vogel

FC St. Pauli: Reinke – Dammmann – Schlindwein, Philipkowski – Gronau, Zander, Pröpper, Stansislawski, Fröhling – Driller (89. Tholen), Hjelm (75. Manzi)

Schiedsrichter: Werthmann (Iserlohn) – Zuschauer: 2 700 Tore: – Gelbe Karten: Vogel, Lenz / Schlindwein, Fröhling, Driller Beste Spieler: Tretschok, Hillringhaus – Dammann, Pröpper